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Baudolino

Baudolino

Titel: Baudolino Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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erster! Und hütet sich dabei, seinen Johannes Presbyter zu nennen, womit er ihm jedwede priesterkönigliche Würde abspricht...«
    »Er weiß, daß Johannes Nestorianer ist«, sagte Baudolino,
    »und so schlägt er ihm väterlich-päpstlich vor, auf seine Ketzerei zu verzichten und sich ihm zu unterwerfen...«
    »Zweifellos ist dies ein sehr arroganter Brief«, bemerkte der Kanzler Christian. »Er nennt Johannes seinen lieben Sohn, aber er schickt nicht einmal einen Bischof zu ihm, sondern bloß seinen Leibarzt. Er behandelt ihn wie ein Kind, das man zur Ordnung ruft.«
    »Dieser Philippus muß liquidiert werden«, entschied Friedrich.
    »Christian, schick Boten los, gedungene Mörder oder wen immer du willst, daß sie ihn unterwegs abfangen, ihn erdrosseln, ihm die Zunge herausreißen, ihn in einem Wildbach ertränken!
    Er darf auf keinen Fall dort ankommen! Der Priester Johannes gehört mir!«
    »Sei unbesorgt, mein Vater«, sagte Baudolino, »nach meiner Meinung ist dieser Philippus gar nicht aufgebrochen, ja es ist nicht mal gesagt, daß er überhaupt existiert. Erstens weiß
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    Alexander genau, denke ich, daß der Brief an Manuel eine Fälschung ist. Zweitens weiß er gar nicht, wo sein Johannes zu finden sein soll. Drittens hat er den Brief geschrieben, um dir zuvorzukommen und zu sagen, daß der Priester Johannes ihm gehört, und im übrigen lädt er dich und Manuel dazu ein, die ganze Geschichte mit dem Priesterkönig zu vergessen.
    Viertens, selbst wenn Philippus existieren würde, selbst wenn er zu diesem Priester ginge und tatsächlich dort ankäme, überleg nur mal einen Moment, was passieren würde, wenn er
    unverrichteter Dinge zurückkäme, weil der Priester Johannes nicht zur Katholischen Kirche übergetreten ist. Für Alexander wäre das doch ein Schlag ins Gesicht. Das kann er nicht riskieren.«
    In jedem Fall war es nun zu spät, den Brief an Friedrich publik zu machen, und Baudolino fühlte sich wie enteignet. Beim Tod Bischof Ottos hatte er angefangen, mit dem Reich des Priesters Johannes zu liebäugeln, und seitdem waren fast zwanzig Jahre vergangen... Zwanzig Jahre vergeudet für nichts...
    Dann aber raffte er sich auf: Nein, mag sich der Brief des Priesters in nichts auflösen oder sich in einer Fülle anderer Briefe verlieren, heutzutage kann jeder, der will, sich einen Liebesbriefwechsel mit dem Priester Johannes erfinden, wir leben in einer Welt von abgefeimten, durchtriebenen Lügnern, aber das heißt nicht, daß man darauf verzichten soll, nach seinem Reich zu suchen. Schließlich gibt es immer noch
    Kosmas' Karte, also genügt es, Zosimos wiederzufinden, sie ihm zu entreißen, und dann auf zur Reise ins Unbekannte...
    Aber wo mochte Zosimos stecken? Und selbst wenn man
    wüßte, daß er sich überhäuft mit Pfründen im Kaiserpalast seines Basileus befand, wie sollte man ihn dort aufstöbern, inmitten der ganzen byzantinischen Armee? Baudolino fing an, Reisende, Boten und Kaufleute zu befragen, um etwas über den ruchlosen Mönch zu hören, und zugleich fuhr er fort, Friedrich
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    an den Plan zu erinnern: »Mein Vater«, sagte er, »jetzt hat die Sache mehr Sinn als vorher, denn vorher konntest du fürchten, daß jenes Reich bloß eine von meinen Phantastereien sei, aber jetzt weißt du, daß auch der griechische Basileus und der Papst in Rom daran glauben, und in Paris wurde mir gesagt, wenn unser Geist imstande ist, etwas zu konzipieren, von dem es kein Größeres gibt, dann existiert dieses Etwas gewiß. Ich bin jemandem auf der Spur, der mir Informationen über den Weg dorthin geben kann - ermächtige mich, etwas Geld auszugeben.«
    Es gelang Baudolino, sich mit genügend Gold ausstatten zu lassen, um alle Graeculi, die nach Venedig kamen, zu bestechen, er wurde in Kontakt mit vertrauenswürdigen Leuten in
    Konstantinopel gebracht und wartete auf Nachrichten. Sobald er sie bekommen haben würde, brauchte er Friedrich nur noch dazu zu bringen, eine Entscheidung zu treffen.
    »Weitere Jahre des Wartens vergingen, und inzwischen war auch euer Manuel gestorben. Obwohl ich euer Land noch nicht besucht hatte, Kyrios Niketas, wußte ich genug darüber, um mir denken zu können, daß beim Wechsel eines Basileus alle seine alten Vertrauten liquidiert werden würden. Ich betete zur Madonna und zu allen Heiligen, daß Zosimos noch lebte, auch geblendet würde er mir noch genügen, er mußte mir die Karte nur geben, ich würde sie dann schon lesen können. Und derweil hatte ich das

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