Bauern, Bonzen und Bomben
eine und steckt sie sich an, trotzdem er selbst genug hat.
Aber der Maschinenmeister mag ruhig ein bißchen toben, wenn sein Bestand nie stimmt, das sind alles rote Genossen. Es ist gut, wenn die Verdacht aufeinander haben, Mißtrauen in der Partei hält den Meinungsaustausch frisch.
Doch eigentlich ist es ihm nicht um die Zigaretten zu tun. Darum macht er kein Schloß auf. Aber der Maschinenmeister hat auch immer ein Lager von allen möglichen Aktphotographien. Weiß der Teufel, was er damit tut, ob er sie auch zum Vertrieb hat an seine Kollegen oder ob er sich, ein nicht befriedigend verheirateter Mann, daran ergötzt.
Jedenfalls ist heute abend eine ganze frische Partie da, sieht Thiel im Lichte eines Streichholzes. Und nun zieht er sich mit seinem Packen Bilder unter einen Tisch zurück, dessen deckende Platte den Lichtschein abfängt.
|386| Nach einer halben Stunde nimmt er seinen Rundgang neu auf, geht wieder durch den Garten, in den Setzersaal, zur Expedition. Er ist heute kein scharfer Wachhund, heute nacht macht er blau, heute nacht summt er sogar vor sich hin.
Er öffnet die Tür vom Flur zum Expeditionszimmer. Das ist jene Tür, die oben im Schornstein das Bimmelsignal gibt. Und richtig, er hört es ganz schwach bimmeln von dort.
Ihm fällt ein, daß er heute abend verschlafen hat, daß er vergaß, die Klingel abzustellen wie sonst jeden Abend. Und steht erstarrt.
Oben hört er Schritte, deutlich rasche Männerschritte.
In demselben Augenblick rast er in Sätzen die dunkle Treppe hinauf. Er überlegt nicht in diesen Sekunden, es reißt ihn die Treppe hinauf, dem Spion entgegen. Im Laufen tastet die Hand nach dem Gummiknüttel, faßt ihn schlagbereit.
Der Vorplatz ist stichdunkel. Aber in den Ritzen der Tür zum Expeditionszimmer schimmert es schwach gelblich. Drinnen brennt Licht.
Sein Elan reißt ihn pausenlos weiter, er öffnet die Tür: Und die stille helle Weite des Arbeitszimmers von Padberg tut sich vor ihm auf. Die fünf Lampen am Kronleuchter brennen, die Schreibtischlampe brennt, die Vorhänge sind zugezogen.
Aber das Zimmer ist leer.
Thiel sieht nach der andern Tür: Sie ist geschlossen, schwingt nicht.
Das Hastige fällt ab von ihm, leise, auf Zehen, als dürfe er einen nicht stören, schleicht er ins Zimmer, dem Schreibtisch zu.
Die Mittellade steht auf und ist leer. Was darin lag, ist auf die Platte des Schreibtischs gestapelt, zur Durchsicht. Zwei Stöße, einer rechts, schon durchgesehen, mit den weißen Rückseiten nach oben, einer links, noch der Durchsicht harrend, ihm das Beschriebene zukehrend.
Mechanisch greift Thiel nach dem obersten Blatt, nimmt es, will es überfliegen …
|387| Und ein Gefühl äußerster Gefahr überkommt ihn, eine Welle von Angst stürmt über ihn, sein Herz beginnt schmerzhaft zu trommeln und ist doch so schwach.
Er steht einen halben Meter ab vom Vorhang, der nun seinen Blick anzieht. So in nächster Nähe gesehen, hängt der Vorhang nicht glatt zur Erde, er bauscht und buckelt sich seltsam, fast könnte man denken, jemand stünde dahinter.
Thiels Blick geht zur Erde. Der Vorhang ist nicht ganz lang, es bleibt Raum über dem Boden. Und in diesem Raum stehen zwei Schuhe, zwei schwarze, bestaubte Männerschuhe, mit den Spitzen zu ihm.
Thiel fängt an zu zittern, es ist alles so gespenstisch. Dies dunkle, verworrene Haus, der nächtige Garten, die schlafenden Schuppen, und in all dem, wie in der Kammer des Traums, ein erleuchtetes Zimmer, totenstill. Ein Mensch vor einem Vorhang, unter dem zwei Schuhe stehen. Die Hand des Menschen tastet sich gegen den Vorhang – braunrot ist er –, sie bebt so stark, daß er sie wieder zurückzieht.
Thiel starrt auf den gebeulten Vorhang.
Es ist unendlich viel in ihm in diesen Sekunden: glückliche Kindertage, das nüchtern-klare Zimmer auf dem Finanzamt mit der verläßlich klappernden Rechenmaschine, ein Skatabend im Gasthof, die drei Gesichter der Freunde, doch vor allem der Fuß Kalübbes über einem braunbunten Falter im Straßenstaube – und der Fuß wurde zurückgezogen.
Thiel legt sachte den Gummiknüttel hinter sich auf den Schreibtisch. Mit der linken Hand faßt er die rechte ums Gelenk, führt die bebende gegen den Vorhang.
Seine Fingerspitzen berühren den Stoff, sein Herz erzittert stark.
Er hebt ihn, er zieht ihn langsam ab von dem Gesicht, das sich darbietet, ein weißes, faltiges Gesicht, schneeweiß, mit einem Wust dunkler Haare darüber. Trübe Augen sehen ihn an.
Hier steht ein Mann
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