Bauern, Bonzen und Bomben
haben.«
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|479| Drittes Buch
Der Gerichtstag
|481| ERSTES KAPITEL
Stuff verändert sich
1
Der dreißigste September ist ein schöner, blaugoldener Herbsttag, mit Glanz und Frische in der Luft. Im übrigen ist er ein Montag, ein Arbeitstag wie alle andern auch.
Der erste Oktober wird ein Dienstag sein, an diesem Dienstag wird der Prozeß gegen Henning und Genossen seinen Anfang nehmen, wegen Aufruhr, Landfriedensbruch, öffentlicher, tätlicher Beleidigung, Sachbeschädigung, gefährlicher Körperverletzung …
Außerdem ist der erste Oktober, wie alle Jahre, ein Ziehtag, Wohnungen werden gewechselt, Angestellte verändern sich.
Max Tredup ist schon seit netto einer Woche in wilder Aufregung. Herr Gebhardt hat ihn schon zweimal rufen lassen und sich erkundigt, wie das mit dem versprochenen Abgang von Stuff würde. Tredup hat versichert, der ginge.
Gebhardt glaubt das aber nicht, Tredup ist fest davon überzeugt, Gebhardt skeptisch, beim zweitenmal ungehalten, sehr ungehalten.
Tredup ist gar nicht so fest überzeugt: Stuff ist nichts anzumerken.
Tredup steigt Stuff diese letzten Tage unablässig nach. Stuff tut wie nichts. Tredup steht Wache vor einem halben Dutzend Schenken, Stuff säuft die Nächte durch. Tredup läuft zu Stuffs Schlummermutter, Stuff hat nicht gekündigt.
Schicke ich nun doch eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft …?
Aber er hat es doch Elise gesagt!
Oder …?
Tredup sitzt an seinem Schreibtisch, Stuff sitzt am andern |482| Schreibtisch. Sie sehen einander an, das heißt, Tredup sieht Stuff häufig verstohlen und rasch an, für Stuff ist Tredup Luft.
Es ist Nachmittag, am dreißigsten September, schönes Herbstwetter.
Stuff schneidet sich die Nägel.
Dann sieht er auf die Uhr, seufzt und beginnt in seinem Schreibtisch zu kramen.
Packt er zusammen?
Stuff hat einen noch unbenutzten Stenogrammblock gefunden und steckt ihn ins Jackett. Den Schurrmurr stopft er wieder in den Schreibtisch.
In die Luft sagt Stuff: »Heute abend gehst du zu den Nazis.«
Hoffnungsvoll sagt Tredup: »Ja?« und fragt zärtlich: »Hast du keine Zeit, Männe?«
Aber bei Stuff ist es schon wieder alle, er ist halb aus dem Zimmer.
Tredup springt auf, läuft ihm nach, legt die Hand auf Stuffs Schulter und flüstert flehend: »Männe, du machst mich verrückt!«
Stuff nimmt sorgsam mit zwei Fingerspitzen die fremde Hand von der Schulter, läßt sie fallen. Gedankenverloren flötet er dem Annoncenwerber ins Gesicht.
»Stuff, quäle mich doch nicht so namenlos! Bitte, sag mir, ob du gehst.«
»Jawohl«, sagt Stuff, »ich gehe – aufs Gericht nämlich. Und sofort.«
»Stuff …!«
Stuff flötet.
»Du hast doch meiner Frau gesagt, du gingest zum ersten Oktober.«
»Kaninchen«, sagt Stuff schallend. »Kaninchen mit Schlappohren! Oktober 1940!« Und er entschwindet flötend, alle Türen donnern, Tredup bleibt zerschmettert zurück.
|483| 2
Nachdem Stuff den Tredup erledigt hat, geht er aber nicht aufs Gericht, sondern zu Tante Lieschen. Dort sitzt er den ganzen Nachmittag in einem Zustand behaglicher Aufgeregtheit, trinkt viel und fühlt sich wie ein Junge, der die Schule schwänzt. Schließlich steht er auf und geht zu den »Nachrichten«. Dort ist es schon duster, als er ankommt. Er tastet sich in den Redaktionsgang, aus dem Setzersaal fällt etwas Licht auf eine Türklinke, sie blitzt. Stuff drückt sie herunter, die Tür geht auf. Stuff ist im Zimmer von Herrn Gebhardt. Zuerst einmal läßt er die Vorhänge herunter, dann schaltet er Licht ein.
Stuff setzt sich auf den Schreibtisch des Chefs, baumelt mit den Beinen und denkt nach.
»Na ja«, seufzt er. »Na ja. Atjüs sagen muß ich ihm doch schließlich.«
Er probiert das Telefon, es ist durchgestellt.
»Neunundsechzig, Fräulein«, sagt er.
»Herr Gebhardt? Herr Gebhardt selbst dort? Hier Stuff. Ja, Stuff. – Herr Gebhardt, ich komme eben bei den ›Nachrichten‹ vorbei und sehe Licht in Ihrem Zimmer. Ich gehe rein, alles zerwühlt, der Schreibtisch offen. – Nein, Polizei habe ich noch nicht benachrichtigt, wußte nicht, ob es Ihnen recht wäre. – Sie kommen selbst? Sofort? Ja, ich bleibe hier, warte. Kann ja solange versuchen, ein bißchen Ordnung zu machen. – Ich soll nichts anrühren? Nein, wenn Sie nicht wollen, natürlich nicht. – Nichts lesen, nein, ausgeschlossen. Ich lese doch nichts! Freiwillig lese ich überhaupt nichts, Herr Gebhardt … Hat angehängt. Schade.«
Stuff schnüffelt kummervoll. Fischt sich ein
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