Bauern, Bonzen und Bomben
Blatt weißes Papier, malt mit Rotstift in Riesenlettern darauf:
»Atjüs, Pappchen Gebhardt. Stuff verändert sich.«
Legt das Blatt auf die leere Schreibtischplatte. Mustert das Ganze noch einmal, malt mit Blaustift die großen Buchstaben nach. Mustert das Ganze von neuem. Er nimmt aus einer |484| Vase eine rote Aster, eine weiße Aster, legt sie rechts und links auf das Papier.
»Sieht freundlicher aus«, murmelt Stuff. »Herzlicher.«
Er verläßt das Gemach, in dem still und hell das Licht weiterbrennt. Stuff schusselt langsam zum Bahnhof, trinkt im Wartesaal gemächlich drei Helle und sechs Korn und erklettert den letzten Zug nach Stolpe.
»Atjüs, Altholm«, sagt er. »Morgen auf Wiedersehen.«
3
Die Nazis halten ihre Versammlungen stets im Tucher am Marktplatz ab, und gegen acht Uhr macht sich Tredup dorthin auf den Weg.
Es ist die erste politische Versammlung, zu der er geht, bisher hat Stuff ihn immer nur ins Kino oder auf den Wochenmarkt geschickt. Langsam geht Tredup durch die dunklen Straßen, er grübelt darüber, ob es was zu bedeuten hat, daß ihn Stuff zu den Nationalsozialisten schickte, oder ob es bloß Faulheit von dem war.
Jedenfalls, morgen ist der erste Oktober, der Tag, an dem Stuff fort wollte und sollte, der Tag auch, an dem die Gerichtssitzung beginnt. Geschieht morgen nichts, muß die Anzeige an die Staatsanwaltschaft geschrieben und abgesandt werden.
Oder schickt er dem Stuff noch einmal einen Drohbrief?
Peinigend und ermüdend drehen die Gedanken ewig um das gleiche, bis Tredup aus der dunklen Propstenstraße auf den Marktplatz einbiegt. Das Gesumme einer großen Menge, Geschrei, wildes Reden einer heiser brüllenden Männerstimme. – Tredup macht einen Satz und läuft gegen das Ende des Marktplatzes zu, an dem das Tucher liegt.
Eine dichte Menschenmenge hindert ihn am Vorwärtskommen, der ganze Marktplatz ist von Leuten angefüllt, neugierigen Altholmern. Doch die Fahrbahn hält Polizei |485| frei, und auf einen dieser Wachtmeister stürzt Tredup zu. »Herr Wachtmeister! Tredup von der ›Chronik‹. Kann ich durch? Ich vertrete Herrn Stuff.«
Er darf zwanzig Schritt weiterlaufen, dann muß er dem nächsten Wachtmeister sein Sprüchlein von neuem sagen und darf wieder weiter.
Unter dem Schein der Bogenlampen unendlich viel Menschen, halb Altholm, scheint es, drängt sich hier und lauscht auf das heisere Gebrüll. Tredup sieht ein paar rote Fahnen wehen.
Jemand aus der Menschenmasse ruft ihn an: »He, Sie! Herr Tredup!«
Sein Wirt ist es, der Gemüsehändler aus der Stolper Straße. »Ja, bitte? Ich bin eilig, ich vertrete die ›Chronik‹.«
»Dann geben Sie es der Polizei nur ordentlich! Es ist eine Schmach! Es ist eine Affenschande!«
»Was ist eine Schmach? Was ist überhaupt los?«
»Ich weiß ja auch nicht. Aber daß die Kommunisten hier offen auf dem Marktplatz ihre Brandreden halten dürfen …«
»So. – Entschuldigen Sie, Meister, ich muß weiter …«
»Geben Sie es der Polizei nur tüchtig!« hallt es ihm nach.
Nebenstehende, die das Gespräch hörten, brummen bestätigend.
Noch zwanzig Schritt, noch ein Polizeiposten, und Tredup ist ganz nahe beim Tucher. Hier ist auch der Bürgersteig frei gemacht, hell und leer liegt er im Schein der Lampen, die vor dem Lokal brennen. In der Mitte des Fahrdamms steht ein Haufen Polizisten, Tredup sieht Frerksen, auch Kriminalpolizei in Zivil. Er erkennt den Assistenten Perduzke.
Im Eingang zum Tucher stehen zwei Jünglinge in Hitleruniform, die Hakenkreuzbinde am Arm. Sie sehen blaß aus, rote Schmarren ziehen sich über ihre Gesichter, Blut tropft dem einen von der Stirn. Er wischt es mit einem Taschentuch ab.
Gerade gegenüber ist der ganze Marktplatz unter den Bäumen erfüllt von Kommunisten. Auf einer umgedrehten Karre steht der Funktionär Matthies und hält eine Ansprache.
|486| »Was ist denn los? Was ist geschehen?« stürzt Tredup auf einen der beiden Nationalsozialisten los.
»Wer sind denn Sie?« fragt der abweisend.
»Tredup, von der ›Chronik‹. Ich vertrete die Presse. Herr Stuff ist verhindert …«
Beim Namen Stuff erhellen sich die Gesichter der beiden. »Ja, Herr Stuff sollte das erlebt haben, der gäbe es der Polizei! Es ist eine Schmach …!«
»Was ist eine Schmach? Alle sagen, es ist eine Schmach, aber was ist …?«
»Hören Sie zu: Auf acht war unsere Versammlung angesetzt. Um drei Viertel waren erst zwanzig Mann von uns da. Plötzlich kommen die Kommunisten angerückt,
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