Bauern, Bonzen und Bomben
Lodenmantel, den Hut weit in der Stirn.
Vor ihm steht ein Arbeiter und redet eilig und heftig.
Gareis hebt den Kopf und sieht flüchtig auf Tredup. »Nun, |489| Herr Tredup, was verschafft mir die Ehre? – Ich habe keine Zeit.« Und schon ganz woanders: »Sieh es ein, Genosse, was soll ich denn machen? Ich kann doch nicht mit meinen paar Männekens auf die Kommunisten losgehen.«
Der Arbeiter ist böse. »Die Partei wird es dir übelnehmen, Genosse Gareis, die Mißstimmung in der Partei gegen dich wächst ständig. Das ist keine Sache, daß du die Sowjetjünger auf dem Marktplatz unter unserm Schutz Versammlung abhalten läßt.«
»Unserm Schutz … Wir sind zu schwach. Sofort wenn Schupo da ist, werden sie aufgelöst.«
»Gegen dreitausend Bauern seid ihr mit drei Mann losgezogen. Jetzt bist du plötzlich zu schwach. Kein Genosse versteht das.«
»Jeder Vernünftige versteht das. Soll auf den sechsundzwanzigsten Juli ein dreißigster September folgen?«
»Läßt du wenigstens den Matthies noch heute verhaften?«
»Man muß mindestens erst ein paar KPD-Leute hören. Was die Nazis erzählen, ist auch nicht alles lauteres Gold.«
»Du denkst immer an die andern, Genosse Gareis, nie an die Partei.«
»Ich denke«, sagt Gareis, »an die andern
und
an die Partei.«
»Das ist es! Das ist es! Du willst es beiden recht machen.«
»Ich will es richtig machen. Deshalb muß ich an beide denken.«
»Jedenfalls bleibt die Naziversammlung verboten?«
»Nein. Nein.« Noch einmal mit viel Nachdruck: »Nein. Sobald die Schupo da ist, gebe ich die Versammlung frei.«
»Genosse Gareis …«
»Also, Herr Tredup, was haben wir?«
»Ich wollte fragen … Ich vertrete Herrn Stuff … Ob Sie Instruktionen für mich haben?«
»Herrn Stuff?« fragt der Arbeiter Geier und sieht böse aus. »Ist der etwa von der ›Chronik‹?«
|490| »Herr Tredup von der ›Chronik‹ – Herr Stadtverordneter Geier.«
»Und den läßt du zuhören?!«
»Der gehört zu uns. Der ist in der Partei. Es ist ganz gut, daß er das gehört hat.«
»Jawohl. Ja, ich weiß nur nicht recht … Herr Bürgermeister, die Leute meinen, die Polizei sollte vorgehen …«
»Hörst du!« sagt Geier.
»Mit was denn?« fragt der Bürgermeister, aber das Telefon klingelt.
Er hört, spricht, dankt. »In zwei Minuten ist die Schupo hier. Sie fährt eben in Altholm ein. Sie entschuldigen mich …«
Alle drei brechen auf.
Als sie auf die erhöhte Außentreppe am Rathaus hinaustreten, hören sie schon von weitem Hupengetön, Motorengeräusch.
Die Menge ist noch größer geworden, so weit man sehen kann, unter den Lampen brausendes Gewimmel.
Die Autos sind ganz nahe zu hören.
»Von
der
Seite?« ruft plötzlich Gareis. »Von
der
Seite?! Oh, verdammt, das ist keine Schupo, das sind Nazis!«
Drei Motorräder stürmen vorbei, mit je zwei Mann in Hitleruniform besetzt.
Schon am Rathaus verlangsamen sie das Tempo, unaufhörlich hupend schieben sie sich in die auseinanderweichende Menge.
Ihnen folgt Lastwagen auf Lastwagen, jeder mit fünfzig, sechzig Nationalsozialisten besetzt. Die Hakenkreuzfahne weht über jedem Wagen.
Die jungen Männer stehen stramm, spähen militärisch stolz in das Volk …
»Wenn jetzt nicht Schupo kommt«, sagt Gareis, »haben wir in drei Minuten ein Schlachtfeld mit Toten.«
Der Redner hinten vor dem Tucher hat mit einem Ausruf geendet. Ein Hochgeschrei folgt. Irgendeine scharfe Stimme ruft etwas.
|491| Und wie ein Gießbach stürzt die Masse der Kommunisten auf die freie Fahrbahn vor dem Tucher. Die paar Polizeileute sind sofort beiseite geschoben, im Strudel verschwunden. Gebrüll – »Hoch!«, »Nieder!«, »Heil Hitler!« –, rote Fahnen, Hakenkreuzfahnen, Fanfarengeschmetter.
Gareis hat den Arm von Tredup gepackt. Mit klammerndem Griff faßt er zu. »Schupo!« fleht er. »Schupo!!«
Aber die Fanfaren nehmen eine Marschmelodie auf, ein triumphierender Sang hebt an.
Die Kommunisten sind in Viererreihen geordnet, die roten Fahnen wehen darüber, die Leute setzen sich in Marsch …
Von den Autos schwingen sich die Nazis. Auch dort ertönen Kommandos, auch dort gliedern sich die Leute, vor dem Tucher stehen sie, vier Reihen tief, das Gesicht gegen die Kommunisten gekehrt …
»Da ist die Schupo!« ruft Gareis erlöst.
Sie muß weiter entfernt schon die Mannschaftsautos verlassen haben. In zwei langen Ketten kommen sie, schieben sich zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten, Kommunisten und Publikum, trennen die
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