Bauernjagd
Genaueres wissen.«
Renate Uhlmann, die Ehefrau des Jägers, reagierte völlig
apathisch auf die Todesnachricht. Mit leichenblassem Gesicht saß sie am
Küchentisch, aufrecht und stumm, den Blick ins Nichts gerichtet. Die Fragen des
Kommissars beantwortete sie mit leiser, brüchiger Stimme. Nein, ihr Mann habe
keine Feinde gehabt. Es habe auch keinen Streit gegeben, weder unter Freunden
noch innerhalb der Familie. Heinrich Uhlmann sei allseits beliebt gewesen, bei
den Jägern wie auch in der Nachbarschaft. Dann verfiel sie wieder in Schweigen.
Hambrock fand es leichter erträglich, wenn die Angehörigen ihre
Trauer einfach rausließen. Sollten sie ruhig schreien und heulen, alles war
besser als dieses Erstarren. Er wollte nur noch raus aus der stillen Küche.
»Sagt Ihnen der Name Hedwig Tönnes etwas?«, fragte er.
Renate Uhlmann sah auf. »Hedwig? Das ist meine Schwester. Was ist
mit ihr?«
Er versuchte, seine Überraschung zu verbergen.
»Wie würden Sie das Verhältnis zu Ihrer Schwester beschreiben?«
»Ganz normal, wie in allen Familien. Warum fragen Sie? Was ist denn
mit ihr?«
»Gab es in der Vergangenheit Streit zwischen Ihrer Schwester und
Ihnen? Oder zwischen ihr und Ihrem Mann?«
»Nein.« Sie starrte ihn verständnislos an. Dann gefror ihr Gesicht
zu einer Maske. »Nein, das ist unmöglich. Hedwig hat meinen Mann nicht
erschossen! So weit würde sie niemals gehen.«
Hambrock fixierte sie. »Wie weit ist sie denn bereits gegangen?«
Da blickte sie ihn an, als habe sie seine Anwesenheit gerade erst
bemerkt. Sie presste die Lippen aufeinander.
»Was ist passiert, Frau Uhlmann?«
Sie schüttelte den Kopf. Sie schwieg eine ganze Weile, dann fragte
sie mit brüchiger Stimme: »Hat Hedwig ihn erschossen?«
»Das wissen wir nicht. Deshalb ist es wichtig, dass Sie mir sagen,
was es mit dem Streit zwischen Ihrem Mann und Ihrer Schwester auf sich hat.«
Doch sie saß einfach da und starrte ins Nichts.
»Frau Uhlmann, Sie müssen …«
»Ich möchte, dass Sie jetzt gehen.«
»Ich weiß, es ist ein schwerer Schlag für Sie. Trotzdem ist es
wichtig, dass …«
»Ich möchte, dass Sie jetzt gehen.« Sie kämpfte sichtlich um ihre
Fassung. »Gehen Sie.«
Da er nicht reagierte, schrie sie ihn plötzlich an: »Gehen Sie jetzt
endlich!«
Hambrock erkannte, dass es keinen Zweck hatte weiterzumachen. Er
stand auf.
»Ihre Tochter wird jeden Augenblick hier sein«, sagte er. »Ich werde
auf dem Hof warten, bis sie eingetroffen ist. Falls Sie mich brauchen, wissen
Sie, wo Sie mich finden.«
Dann verließ er das Haus. Draußen atmete er die kühle Herbstluft
ein. Er lehnte sich an den Dienstwagen. Während er wartete, zog er sein Handy
aus der Jackentasche und wählte Heikes Nummer.
»Hey, Hambrock«, begrüßte sie ihn. »Hast du den Besuch bei der Witwe
hinter dich gebracht?«
»Habe ich. Wie kommt ihr in Steinfurt voran?«
»Tja, mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Hier sitzen knapp zwei
Dutzend Jäger und schildern alles bis ins kleinste Detail. Es wird wohl noch
ein paar Stunden dauern, bis ein vorläufiges Bild entsteht.«
»Haben die Kollegen Waffen und Munition sichergestellt?«
»Ich denke, schon.«
»Sag ihnen, sie sollen überprüfen, ob einer der Jäger Schrotmunition
verwendet hat, die man normalerweise für die Gänsejagd benutzt.«
»Und was dann?«
»Dann würde ich mir denjenigen mal genauer ansehen. Es kann nämlich
sein, dass das Opfer mit viel dickeren Kugeln erschossen wurde, als sie in der
Fasanenjagd üblich sind. Ist bislang nur eine Vermutung, trotzdem kann es nicht
schaden, der Sache nachzugehen. Ich mach mich gleich auf den Weg zu dir. In
etwa einer halben Stunde dürfte ich da sein.«
Nachdem er das Handy wieder eingesteckt hatte, kam ihm Erlend in den
Sinn. Seit sie am frühen Nachmittag aus seinem Büro gelaufen war, hatten sie
nicht mehr miteinander gesprochen. Reflexartig griff er nach seinem Handy. Doch
dann hielt er inne. Sich einfach zu melden, würde nicht genügen, um die Wogen
zu glätten. Er musste erst darüber nachdenken, was er ihr sagen wollte.
Ein knallroter Opel Corsa fuhr mit hohem Tempo auf den Hof und
bremste abrupt. Eine leicht übergewichtige Frau um die dreißig kletterte heraus.
Offenbar die Tochter.
Er ging dem Wagen entgegen. »Sind Sie Beate Uhlmann? Mein Name ist
Bernhard Hambrock, ich bin von der Kriminalpolizei.«
»Ach so.« Sie strich sich fahrig übers Gesicht. »Ich kann das alles
noch gar nicht glauben … Wissen Sie
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