Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)
hatte er unverschlossen vorgefunden, und so konnte er ungesehen in ein kleines Treppenhaus stolpern, das nach nur wenigen Stufen zu einer weiteren Tür führte, die sich seiner Vermutung nach auf Höhe des Hallenbodens befand. Es muffte nach abgestandenem Rauch, und der übervolle Aschenbecher in der Ecke und die herumliegenden leeren Zigarettenschachteln zeigten, dass die Mitarbeiter im Winter oder bei Regen hier ihre Rauchpause einlegten. Er lächelte, denn dann würde die zweite Tür ebenso offen sein, wie es die erste gewesen war.
Er behielt Recht. Das Metalltor mit gelbem Leuchtbalken und einem Bügel zum einfachen Aufdrücken öffnete sich fast lautlos einen Spaltbreit und ließ kalte Luft in sein Gesicht schlagen. Wachsam spähte er in die weite Halle, konnte jedoch nur eine Reihe von Hochregalen erkennen, die vor Paletten voller Obst und Gemüsesteigen überzuquellen schienen. Vorsichtig schlüpfte er durch die Tür und sah sich um. Die Regale waren quer ausgerichtet, um die Transporter bequem über die Rampen beladen zu können. Das System wurde unmittelbar klar. Den Lkw wiesen die Arbeiter je nach Ladung die Position zu, die eine schnellstmögliche Be- oder Entladung ermöglichte. Aber auch ihm nutzte die Struktur, und er huschte zwischen zwei Regalreihen und war so vom Eingang her nicht mehr zu sehen. Ein schneller Blick um die Ecke zeigte ihm, dass im Augenblick Fleisch aus dem eben angekommenen Lkw in ein Kühlhaus gefahren wurde. Dessen Temperatur musste noch unter der des Bereichs liegen, in dem er sich befand, denn wenn eine vermummte Gestalt durch die Kunststoffbahnen trat, waberte ihr ein Nebel aus gefrorenen Wasserkristallen hinterher.
Langsam zog er sich zurück und folgte dem Regal, um hier und da die Waren und Etiketten zu inspizieren und diese mit seinem Handy zu fotografieren. Sämtliche Kisten, Kartons und Schachteln trugen das europäische Biosiegel des aus Sternen gefügten Blatts auf grünem Grund. Kartoffeln aus Israel, Tomaten aus den Niederlanden und Italien, Reis aus Pakistan, Linsen und Paprika aus der Türkei. Brünjes kannte die Probleme der Biobranche in Deutschland, nicht ausreichend produzieren zu können und so in vielen Sorten auf Importe angewiesen zu sein, um die steigende Nachfrage zu befriedigen, war aber trotzdem von der Vielfalt der Waren überrascht. Das Summen eines Elektromotors nur wenige Meter von seinem Standort entfernt ließ ihn erstarren. Zwischen den Regalböden sah er einen Gabelstapler emsig wie ein Käfer über den glatten Betonboden sausen. Die Panik lähmte ihn für den Bruchteil einer Sekunde, dann drückte er sich zwischen Kartons mit Tomaten aus dem Senegal hindurch und ging in einem schmalen Spalt dahinter in Deckung.
Keinen Augenblick zu früh, denn schon stoppte der Stapler unmittelbar vor seinem Versteck, woraufhin ein Arbeiter in weißer Montur absprang und den Lieferschein abriss. Er wirkte unrasiert, und die abstehenden Haare zeigten, dass sie am heutigen Tag genauso wenig einen Kamm gesehen hatten, wie der Rest des Körpers Wasser. Sein Hosenbein war auf Armeslänge von dem Versteck entfernt, in dem Brünjes kauerte. Sein Herz schlug hektisch, und er versuchte, sich langsam tiefer in den Schatten des Regals sinken zu lassen und flach zu atmen, damit die verräterischen Atemwolken nicht dem Mann um die Nase wehten. Staub kribbelte auf seinen Schleimhäuten wie in einem schlechten Film, doch er ignorierte es. Bange Sekunden verstrichen, dann sprang der Stapler an. Die Stahlspitzen schoben sich unter die Palette und hoben sie vor seinen Augen an. Er unterdrückte einen Aufschrei, als das Gefährt zurückfuhr, und er bereitete sich auf Entdeckung und Flucht vor. Schweiß brach ihm aus allen Poren aus.
»Stopp, das ist der Falsche! Ich habe mich verlesen.« Der Akzent war eindeutig osteuropäisch.
»Mensch, pass gefälligst auf!«
Die Kartons kamen wieder auf ihn zu und schwankend sank die Ladung auf den Boden. Es dauerte noch eine gefühlte Ewigkeit, bis die beiden endlich den richtigen Lieferschein samt dazugehörigem Obst gefunden hatten und verschwanden. Brünjes versuchte unterdessen, sein galoppierendes Herz zu beruhigen und schwor sich, so schnell wie möglich abzuhauen.
Auf der Laderampe erstarben die Bewegungen, und er hörte, wie der Lastwagen davonfuhr. Wenig später war die Halle leer und ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass Pausenzeit sein könnte.
Wieder auf dem Gang schlug er den Staub aus seinen Kleidern und spähte zum
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