Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)
hatte Görgen eigentlich nur zur gemäßigten Garde der linken Szene in Frankfurt, nachdem er bei einer Demo gegen irgendwas von der Polizei verdroschen wurde und dann in einer Gruppe namens Revolutionärer Kampf landete, bei der so illustre Herrschaften wie unser ehemaliger Außenminister Fischer und der Europaabgeordnete Cohn-Bendit mitgemacht haben. Es existiert ein Foto, auf dem er zusammen mit den beiden und dem Terroristen Hans-Joachim Klein, der beim Überfall auf die OPEC in Wien mitgemacht hat, auf Polizisten eindrischt. Wie einige andere aus dem Dunstkreis ist er irgendwann ausgestiegen und später bei den Grünen gelandet.«
»Was ist mit Klein? Gibt es aus der Richtung einen Ansatz?«
»Nein. Der ist zu den Revolutionären Zellen gegangen, die dann mit der RAF kooperiert haben, doch ich konnte nichts über unser Opfer finden.«
»Also alles umsonst?«
Siran nickte. »Ja, die Spur ist so kalt wie der Südpol.«
»Gut, machen wir einen Haken dahinter. Gib mir eine kurze Notiz rein.«
»Bekommst du. Weil es gerade so schön war, habe ich gleich die politische Karriere Görgens durchleuchtet, wenn man von einer solchen überhaupt sprechen kann.« Er goss sich ein Glas Wasser ein und bot auch Lichthaus etwas an, der jedoch ablehnte. »Ich habe einen ehemaligen Mitstreiter namens Hartmut Fuchs gefunden, der mit wenigen Pausen immer mit Görgen gemeinsam im Kreistag und sonstigen Gremien hier auf der Kommunalebene gesessen hat. Der hat laut gelacht, als ich ihn auf eventuelle Motive für den Mord im Zusammenhang mit Görgens politischer Tätigkeit angesprochen habe. Sie seien völlig transparent in ihrer Partei und würden uns gerne die Sitzungsprotokolle offenlegen, hat aber davon abgeraten, da es reine Zeitverschwendung sei. Es sei denn, wir wollten uns stundenlang mit ideologischem Pipifax abmühen.« Siran fuhr sich durch die dichten Haare. »Also auf Parteiebene scheint es kaum etwas zu geben. Da wir die Kollegen für die Soko jetzt haben, will ich sie trotzdem die parteiinternen Unterlagen und natürlich die Zeitungsarchive nach kritischen Ereignissen während seiner Amtszeit durchsuchen lassen.«
»Mach das. Was ist mit dem Spruch auf dem Klebeband?«
»Das war letztendlich doch ziemlich einfach. Es handelt sich um einen sogenannten Rache- oder Fluchpsalm aus dem Alten Testament. Psalm 108 beziehungsweise 109, das hängt angeblich davon ab, ob man hebräisch oder griechisch zählt. Frag mich nicht, ich weiß das auch nicht genauer. In einer überarbeiteten Lutherübersetzung steht: Wenn er gerichtet wird, soll er schuldig gesprochen werden und sein Gebet werde zur Sünde. Der Beter des Psalms fordert Gott also auf zu richten und zu verdammen. Selbst Gebete des Beschuldigten soll Gott nicht beachten. Wenn wir dann noch den Drohbrief hinzunehmen, der auch ein Rachepsalm ist und klar zur Tötung aufruft, begründet ein religiöser Spinner seine Tat aus der Bibel heraus.«
Lichthaus lächelte. »Für einen Muslim gar nicht mal schlecht.«
»Ich bin Aramäer.«
»Ja, und?«
»Wir sind syrisch-orthodoxe Christen.«
»Verstehe. Entschuldige, das wusste ich nicht.«
»Kein Problem, Chef. In der Bibel gibt es im Alten Testament das Buch der Psalmen. Hierin gibt es etwa siebenunddreißig Psalmen, in denen unterschiedlich lange Abschnitte von Rache handeln. Im Neuen Testament ...«
Lichthaus konnte nicht folgen und wollte nach Hause, denn langsam zogen Kopfschmerzen aus seinem verspannten Nacken nach oben. Er unterbrach Siran: »Was hat das mit unserem Täter zu tun?«
»Unmittelbar wohl wenig. Nun haben wir in Deutschland eine breite Szene von christlichen Splittergruppen, die recht fundamental orientiert sind. Die bekanntesten sind im katholischen Lager Opus Dei und die Piusbruderschaft, bei den Protestanten die sogenannten Freikirchen. Das ist ein Sammelbecken für unterschiedlichste Gemeinden, die jedoch nicht durchweg radikale Meinungen vertreten. Hierzu gehören Pfingstgemeinden, Siebenten-Tags-Adventisten und noch viele mehr. Für uns interessant scheinen mir die evangelikalen Christen zu sein. Ein Kennzeichen dieser Gruppen, die oft aus Amerika stammen, ist eine konsequente Ausrichtung allen Tuns an der Bibel.«
»Woher aus Amerika?«
»Warte mal«, er fummelte einen Computerausdruck heraus. »Wikipedia sei Dank. Es gibt da einen Teil im Südosten, den man den Bible Belt nennt. Der reicht von Texas bis Florida und im Norden bis so etwa Virginia. Warum interessiert dich das?«
»Alexander
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