Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)
Erbrochenes Henriettes Schlafsack mit Bärenmuster. Ihr Gesicht war totenblass, während die Augen glasig zu ihm hinaufstarrten. Er würde es später nie zugeben, in diesem Augenblick jedoch kostete es ihn einige Überwindung, den Reißverschluss zu öffnen und die Kleine herauszuziehen. Sofort presste sie sich weinend an ihn, und er wiegte den zitternden Körper tröstend hin und her, als Claudia in der Tür erschien, die Miene leidvoll verzogen.
»Bleib ruhig draußen. Ich bring sie dir gleich zum Waschen.« Lichthaus wusste, dass Claudias schwacher Magen zu kämpfen hätte, und wollte sich nicht um zwei Patienten kümmern.
Sie verschwand dankbar lächelnd und zog die Tür hinter sich zu, während er Henriette auf dem Wickeltisch auszog. Seine Tochter stank erbärmlich, und er war froh, dass sie noch Windeln trug, denn der Infekt hatte sich auch seinen Weg unten heraus gesucht. Plötzlich übergab sie sich wieder, und es gelang ihm gerade noch, den Inhalt einer kleinen Schüssel, in der sie Cremes aufbewahrten, achtlos auf den Boden zu kippen und ihr vor den Mund zu halten. Einen Augenblick später schrie sie erneut auf und machte knallend auf die Unterlage. Dann kam es auch oben wieder raus.
Nachdem er Claudia das Baby gebracht hatte, riss er das Fenster auf und zog die Matratze ab, die Gott sei Dank durch eine wasserdichte Unterlage geschützt war. Alles wanderte in die Waschmaschine und er ins Bett, in dem die beiden lagen, doch an Schlaf war nicht zu denken. Henriette hatte noch zwei Durchläufe, bis sie um sechs endlich einschlief.
*
Als er Claudia mit dem total apathischen Kind zurückließ, zeigte die Uhr bereits Viertel nach acht. Er war für nur eine schmale Stunde nochmals eingeschlafen und bedauerte das, als er schließlich völlig zerschlagen zu sich gekommen und auch nach der Morgentoilette noch benebelt in die Küche gestolpert war. Während seines Frühstücks hatte Henriette an ihm geklebt und war schließlich nur unter Geweine bereit gewesen, den Arm zu wechseln. Es tat weh, nicht bleiben zu können, und ein fader Geschmack lag noch immer auf seiner Zunge. Claudia würde später mit der Kleinen zum Kinderarzt fahren. Mit mehr als neunzig Überstunden wäre er normalerweise zu Hause geblieben. Scheißmord!
Im Präsidium fingen die erwarteten Kopfschmerzen an und dröhnten so stark hinter seinen Schläfen, dass er Marie Guillaume um eine Tablette bat. Ihre Sekretärin war stets gut ausgestattet, und auch diesmal enttäuschte ihn ihre Hausapotheke nicht.
In seinem Büro roch es nach Staub und trockener, toter Heizungsluft, die er verscheuchte, indem er das Fenster weit öffnete. Dem Wetter nach hätte es April sein können. Im Sprint rasten Wolken über den Himmel, die der Wind auseinanderriss und wieder zusammenführte. Die Sonne kämpfte sich vereinzelt durch, und ihre Strahlen flatterten diffus im Dunst. Es war nach wie vor zu kalt für die Jahreszeit, und er warf wenige Augenblicke später den Flügel zu, um sich die klammen Hände zu reiben, bevor er zum Hörer griff.
Sabine Görgen war schon beim zweiten Klingeln am Apparat. Ihre Reaktion auf seinen Anruf kam erwartungsgemäß: »Ich habe keine Zeit, rufen Sie mich ...«
»Sie können jetzt mit mir sprechen, oder ich veranlasse den Staatsanwalt dazu, Sie vorführen zu lassen.« Eine glatte Lüge, da kein Staatsanwalt das so ohne Weiteres genehmigt hätte, aber er war genervt und kam damit durch.
»Was denn noch?« Der angenehme Ton des Vortags war gegen ein unfreundliches, metallisches Knarzen eingetauscht worden, und er wollte sich nicht vorstellen, wie schwer eine hitzige Diskussion mit dieser Stimme zu führen wäre. Sein Rücken knackte vernehmlich, als er sich in seinem Bürostuhl zurücklehnte und die Nasenwurzel massierte.
»Es sind Unklarheiten aufgetreten, die ich mit Ihnen besprechen möchte. Ist Ihr Mann religiös?«
»Wieso wollen Sie das wissen? Fragen Sie ihn doch selbst. Er ist ja bei seiner Mutter.« Wieder diese Schärfe. Sie zog leicht die Nase hoch.
Wie er solche Gespräche hasste. Fahrig griff er nach seinen Glaskugeln und ließ sie in seiner Hand hin und her laufen. »Wenn ich mit ihm darüber sprechen wollte, würde ich es tun. Ich weiß nicht, ob wir so weiterkommen, Frau Görgen. Sofern Sie die Aussage verweigern, ist das Ihr gutes Recht. Dann muss ich mir die Daten woanders beschaffen. Das ist lästig, aber sei’s drum. Nur diese ewigen Diskussionen bringen niemandem etwas. Ich habe einen Mörder zu
Weitere Kostenlose Bücher