Bauernopfer: Lichthaus' zweiter Fall (German Edition)
Sitzung. Auch Oliver Brauckmann schaute gequält auf die Uhr. Es war fast elf, doch Präsident und Oberstaatsanwalt warteten schon. Die Zeit drängte, denn der Pressesturm hatte bereits Windstärke neun und würde nach dem Wochenende einem Orkan gleichen. Lichthaus graute davor.
»Gut, kommen wir zum Ende. Folgende Aufteilung schlage ich vor: Sophie und Holger durchleuchten Kaisers Privatleben. Sorgt bitte dafür, dass die Technik den Drohbrief so schnell wie möglich untersucht, und hängt euch an die Banken wegen des Schließfachs. Tiefenbach und seine Leute bleiben an den Unterlagen vom Alleenhof und nun auch von unserem zweiten Opfer dran. Steigt in die politische Szene hier vor Ort ein. Sucht nach Berührungspunkten zwischen den Toten und listet sie auf. Tragt ausnahmslos jede Gelegenheit zusammen, wo sich die beiden begegnet sein müssten, selbst wenn sie nur ein gemeinsames Bier getrunken haben. Wir beurteilen die Zusammenhänge später. Siran und ich werden uns in der Zwischenzeit um die Mainzer Tätigkeitsfelder von Kaiser kümmern.«
Im Hinausgehen traf er auf Sophie Erdmann. »Was sagt denn Stefan dazu, dass du heute sofort hierher bist?«
»Der steht mit einem Staatsanwalt im Keller des Brüderkrankenhauses und schneidet Kaiser auf.«
»Was?«
»So schnell kann’s gehen. Sein Chef war um halb sieben an der Strippe und hat ihn aus den Federn gejagt. Ich weiß nur eins: Wir haben ein extrem heißes Eisen in der Hand.«
*
Die Schaltung stand, und Lichthaus konnte so direkt von seinem Büro aus mit Arnd Donnweiler in seinem Haus bei Heidesheim sprechen, als befänden sie sich in einem Raum. Der schlanke Typ mit wasserblauen Augen, die ihn intensiv durch die Kamera musterten, war Kriminalpsychologe beim LKA und hatte sich in den Fall eingearbeitet. Sein Haar war vorzeitig ergraut, besser gesagt schlohweiß, doch er trug es halblang bis auf die Schultern. Hinter seinem freundlich lächelnden Gesicht sahen er und Brauckmann, der neben ihm saß, Regale vollgestopft mit Büchern.
»Ich sehe schon, Sie sind noch auf der Arbeit.« Das Lächeln des Psychologen wurde breiter. »Die zwei Ps machen Ihnen wohl Dampf.«
»Zwei Ps?« Brauckmann verstand nicht.
»Presse und Politik, eine Mischung des Grauens: Keine Ahnung von der Materie aber darüber schwadronieren, was das Zeug hält. Nun, das gehört dazu. Lassen Sie uns beginnen. Zuerst brauche ich die aktuellen Informationen, und ich sage gleich, meine Analyse wird nur oberflächlich sein können, ich muss die Einzelheiten länger prüfen und mit unserem Analystenteam diskutieren.«
Lichthaus hatte mit einem solchen Einwand gerechnet. Die Kriminalpsychologen sammelten die Fakten einschließlich der Tatortfotos und aller Spuren, die gefunden wurden und leiteten hieraus meist im Team ihre Vermutungen ab. Das dauerte und man ließ sich nicht gerne zu Schnellanalysen drängen, die falsch sein und Schaden anrichteten konnten. Donnweiler machte hier keine Ausnahme und Lichthaus verstand diese Haltung, aber er brauchte Antworten.
»Es geht nicht um eine abschließende Analyse, die können Sie in Ruhe durchführen, doch es gibt einzelne Punkte, die uns irritieren und über die wir dringend diskutieren müssen. Das duldet keinen Aufschub.«
»Nun, dann legen Sie mal los.«
Lichthaus erzählte alles von Anfang an und ließ nicht das kleinste Detail aus. Wieder einmal kam er zu dem Schluss, dass sein Tablet eine sinnvolle Investition gewesen war, auch wenn er das Ding privat angeschafft hatte. Mit wenigen Klicks fand er die Informationen, die er brauchte, und sendete sogar einige Fotos auf Donnweilers PC. Der Psychologe schwieg während der Zusammenfassung und notierte viele Seiten. Es dauerte, bis Lichthaus zum Ende kam.
Der Analytiker blies die Backen auf. »Da hängt Ihnen ja ganz schön was am Bein. Aber nun zu Ihren Fragen.«
»Wie müssen wir uns den Täter und seine Gemütslage vorstellen? Dass er emotional angespannt ist, kann wohl jeder sehen.«
»Das kommt drauf an. Es könnte sich um eine Form des Rächens handelt, die wiederum auf stark empfundene Idiosynkrasie – also Hass – zurückzuführen ist. Ich will hier nicht dozieren, doch um zu verstehen, was ich in einer Ad-hoc-Analyse zu erklären versuche, sollten Sie diese Zusammenhänge begriffen haben.« Er wartete, als jedoch keine Nachfrage gestellt wurde, fuhr er fort. Lichthaus musste innerlich lächeln, als er zusah, wie Donnweiler in seinem Stuhl zurücksank und mit geschlossenen Augen
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