Bauernsalat
Geräusch drang aus dem Zimmer. Alexa klopfte noch einmal, jetzt etwas kräftiger. Vorsichtig schaute sie sich im Flur um, ob jemand kam. Dann öffnete sich plötzlich die Tür vor ihr und eine Frau sah erstaunt nach draußen.
»Frau Koslowski?«
Die Frau schaute Alexa weiter unverwandt an. »Wer sind Sie?« Obwohl Maria Scholenski seit über fünfzig Jahren in Deutschland lebte, hörte man ihr noch deutlich den polnischen Akzent an.
»Mein Name ist Alexa Schnittler«, sagte Alexa hektisch und beinahe flüsternd. »Ich komme aus Renkhausen, wo Sie vor vielen Jahren als Magd gearbeitet haben. Ich würde gerne mit Ihnen darüber sprechen.«
In Maria Scholenskis Gesicht war eine eindeutige Reaktion sichtbar. Es war eine Mischung aus Erstaunen und Unsicherheit, fand Alexa. Sie erwartete eine Absage.
»Kommen Sie herein!«, sagte Maria Scholenski plötzlich und öffnete die Tür ein wenig weiter. »Aber wir müssen leise sein, meine Mitbewohnerin schläft schon.«
Als Alexa das Zimmer betrat, wurde ihr noch einmal der Unterschied zwischen dem Altenheim von Pastor Rohberg und diesem hier deutlich, in dem Maria Scholenski und andere Unterversicherte wohnten. Der Raum war klein, bestimmt nicht größer als sechzehn oder achtzehn Quadratmeter. Darin untergebracht waren zwei Betten samt Nachtschränkchen, zwei Kleiderschränke, zwei Regale und ein paar Besucherstühle. Auf den ersten Blick glaubte Alexa, daß die Heimbewohnerinnen nichts außer sich selbst hatten mitbringen dürfen. Dann entdeckte sie im Regal und an den Wänden doch ein paar persönliche Gegenstände. Alexa sah sich weiter um. Doch erst beim zweiten Hinsehen stellte sie fest, daß tatsächlich jemand in einem der Betten lag. Die Person schien ganz klein zu sein, fast wie ein Kind. Jedenfalls hätte man die Frau fast übersehen können, wie sie auf dem Rücken mit geschlossenen Augen dalag. Alexa schluckte. Die Frau war kalkbleich, fast wie das Bettuch, ihre weißen Haare hingen ihr strähnig an den Seiten herunter. Sie hätte tot sein können.
»Setzen Sie sich!«, sagte Maria Scholenski. Alexa wandte sich schnell von der Mitbewohnerin ab und ließ sich auf einem der Besucherstühle nieder, die wie die im Eingangsbereich des Hauses im 70er-Jahre-Grün gehalten waren. Maria Scholenski hatte sich bereits schwerfällig auf einen anderen Stuhl gesetzt. Erst jetzt nahm Alexa das blaßrosane Nachthemd wahr, das Maria Scholenski trug, außerdem ihre braunen, ausgetretenen Hausschühchen. Alexa hielt in Gedanken an dem Namen Scholenski fest, vielleicht weil in dem wachen Gesicht der Frau ein wenig von dem jungen Mädchen durchschimmerte, das als Magd auf dem Hof Schulte-Vielhaber gelebt hatte.
»Ich bin sehr dankbar, daß Sie bereit sind, mit mir zu sprechen.« Alexa wußte überhaupt nicht, was sie sagen sollte. Es kam ihr plötzlich absurd vor, diese Frau zu befragen, die ganz augenscheinlich zu alt oder krank war, um alleine zu leben, die um so weniger in der Lage war, sich für ein Verbrechen zu rächen, das viele Jahrzehnte zurücklag.
»Sie kommen also aus Renkhausen«, sagte Maria Scholenski.
»Ja, ich bin dort geboren und ich habe auch noch ein paar Kontakte dorthin.« Alexa hatte sich gar kein Konzept gemacht, wie sie dieses Gespräch führen sollte. Doch spontan war es ihr sinnvoller erschienen abzuwarten, ob ihr Gegenüber schon vom Tod des Franz Schulte-Vielhaber wußte.
»Man hat mir erzählt, daß Sie im und nach dem Krieg ebenfalls dort gelebt haben.«
»Das ist lange her«, sagte Maria Scholenski. »Das ist sehr lange her.«
»Sie haben auf dem Hof Schulte-Vielhaber gearbeitet«, setzte Alexa fort.
Maria Scholenski blickte Alexa ganz plötzlich in die Augen.
»Was wollen Sie von mir?«, sagte sie dann langsam und eindringlich.
Alexa wechselte die Strategie. Sie hatte nicht das Recht, diese Frau ihre schreckliche Vergangenheit erneut durchleben zu lassen. Erst recht nicht, ohne ihr zu sagen, warum das alles.
»Franz Schulte-Vielhaber ist gestorben«, sagte Alexa, viel direkter als sie es eigentlich gewollt hatte. »Genauer gesagt, er ist umgebracht worden.«
Maria Scholenski starrte sie an. Im selben Augenblick begann sie zu weinen. Sie weinte halblaut vor sich hin, ohne eine einzige Träne zu vergießen. Alexa griff intuitiv nach ihrer Hand und streichelte sie vorsichtig.
»Ich habe gehört, was dieser Mann Ihnen angetan hat. Keine Angst, Sie sollen darüber nicht sprechen, wenn Sie nicht möchten.« Alexa fühlte sich fürchterlich
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