Bauernsalat

wenn Sie das so sagen.«
    Nach dem Gespräch hatte sich Alexas Gehirn dann in Bewegung gesetzt. Ob das wirklich eine Möglichkeit war? Daß jemand sich rächen wollte, für das, was ihm nach dem Krieg auf dem Hof widerfahren war? Und wenn ja, wer sollte das gewesen sein? Die Leute aus dem Dorf wohl kaum. Ihr Vater hatte ja selber gesagt, daß die Menschen aus dem Ruhrgebiet gekommen waren, um Lebensmittel zu tauschen. Aus dem Ruhrgebiet! Es hatte immer mehr zu rattern begonnen. Mit dem Fahrrad waren sie gekommen, hatte Maria Koslowski erzählt. Mit dem Fahrrad. Aus dem Ruhrgebiet. Alexa hatte alle Zeugenaussagen noch einmal durchdacht, hatte sogar den Zettel mit ihren Notizen hervorgekramt. Und dann war sie ihr aufgefallen, diese Kleinigkeit, von der sie plötzlich glaubte, daß sie die ganze Zeit schon an ihr genagt hatte. Hannes Schröder hatte ausgesagt, er habe Reineke auf dem Hof gesehen. Außerdem hatte er auf dem Rückweg Gertrud Wiegand bemerkt, die unten an der Straße gestanden und gequatscht hatte. Gertrud Wiegand aber hatte Reineke nicht gesehen, als sie auf den Hof kam. Er mußte also einen anderen Weg genommen haben als den über die Straße. Er hatte den Feldweg genommen. Er war der einzige, der den Feldweg genommen hatte. Mit dem Fahrrad. Aus dem Ruhrgebiet.
    Kurz zuvor hatte Franz Schulte-Vielhaber die Leiter umgestellt. Hannes hatte die Leiter noch auf der dem Hof zugewandten Seite gesehen, bei Frau Wiegand war sie schon nicht mehr da gewesen. Dafür aber Bauer Franz, der sich mit Elmar vorm Stall gestritten hatte. Nach dem Streit war Franz hinter der Scheune verschwunden – und Frau Wiegand war ins Haus gegangen. Zu der Zeit mußte Reineke sich hinter der Scheune aufgehalten haben. Er hatte gewartet vielleicht im Verborgenen, bis der Bauer oben auf der Leiter stand. Dann mußte er ihn angesprochen haben. Und dann? Dann war er wieder abgefahren. Mit dem Fahrrad. Aus dem Ruhrgebiet Fünf Minuten später hatte Alexa im Auto gesessen. Sie wollte die Sache durchziehen. Dann eben ohne Vincent!

40
    Immerhin hatte ich diesmal sofort Steinschulte angerufen. Er hatte sich unsere neue Theorie angehört ein wenig herumgegrummelt und dann eingewilligt, zu Reineke hinzufahren.
    »Wir treffen uns dann da«, hatte ich hinzugefügt, und der junge Hauptkommissar war wohl so verblüfft gewesen, daß er nicht zum Protestieren gekommen war, bevor ich aufgelegt hatte.
    Hannahs Hirngespinst, wie sie es genannt hatte, war nicht von schlechten Eltern gewesen. Zunächst nur eine bloße Idee, weil dieser Mann ungewöhnlich häufig auf den Hof gekommen war und zweimal ein Gespräch mit Franz unter vier Augen gesucht hatte. Auch weil er Hannah ganz direkt nach ihrem Verwandtschaftsverhältnis zu Franz gefragt hatte. Immer wieder hatte er sich außerdem nach dem Hof erkundigt, wie es wirtschaftlich aussehe, wer denn erben solle. Und dann war da einmal dieser Satz gewesen, der Hannah jetzt wieder eingefallen war und an dem sich ihr ganzes Hirngespinst festmachte. »Warum trägt eine so schöne Frau wie Sie eigentlich nie Schmuck, Frau Schulte-Vielhaber?«
    Das hatte er schon gefragt, als er erst zum zweiten Mal zum Eierkaufen gekommen war. Der Satz war Hannah im Gedächtnis geblieben. Und dann hatte plötzlich alles zusammengepaßt: das Alter, das Ruhrgebiet, die Verbindung zum Dorf, von der er Alexa erzählt hatte. Und dann hatte Elmar noch eine Vermutung geäußert: »Damals, als jemand an der Scheune rumgemalt hat, da ist doch die Scheune durchsucht worden. Vielleicht hat da jemand den Schmuck gesucht. Könnte doch sein, oder?«
    Ich war zunächst skeptisch gewesen. Noch Stunden zuvor hatte ich Hannah und ihren Liebhaber unter die Lupe genommen. Auch dieses Mal hatten wir keinerlei Beweis für unsere Vermutungen. Aber immerhin hatte sich ja diesmal Steinschulte für die Sache interessiert. Er würde schon wissen, was weiter zu tun war.
    Als ich Alexas Auto am Straßenrand sah, war ich mehr als perplex. Ich hatte mich noch gar nicht richtig orientiert und gerade zwei Jungs, die auf dem Mountainbike unterwegs waren, nach Reinekes Haus gefragt, da sah ich Alexas Fiat an der Straße stehen. Einen kurzen Moment lang dachte ich noch, sie sei bei irgendwelchen Bekannten im Dorf und habe nur zufällig hier geparkt. Doch je länger ich darüber nachgrübelte, desto unwahrscheinlicher war dieser Gedanke. Dann befiel mich plötzlich heftige Panik. Wenn dieser Reineke nun tatsächlich ein Mörder war, dann befand sich Alexa womöglich