Baustelle Demokratie
Aspekt einer »Vitalisierung der Demokratie«.
Beim solidarischen Modell der Bürgergesellschaft geht es um die Suche nach einem geeigneten Ergänzungsverhältnis von Staat und Gesellschaft. Die Vertreter der solidarischen Bürgergesellschaft wollen den Wohlfahrtsstaat nicht zurückdrängen oder abschaffen, sondern die Bürgergesellschaft in den Rang einer »Koproduzentin« wohlfahrtsstaatlicher Leistungen erheben. Die Kritik des Wohlfahrtsstaates verbinden sie nicht mit der Forderung nach seiner Abschaffung, sondern mit seiner Demokratisierung. Der Wohlfahrtsstaat, so der Kern des Arguments, sei sinnvoll und notwendig, bedürfe aber einer Erweiterung durch bürgerschaftliche Komponenten und Demokratisierung, wenn er sich nicht durch Bürgerferne, Bürokratismus und überflüssigen Regelungseifer selber diskreditieren wolle. Das sozialstaatliche Handeln bedürfe einer Weiterentwicklung im Sinne von mehr Demokratie und Teilhabe, soll die Ermöglichung von Freiheit ein realistisches staatliches Ziel bleiben. Die Idee der solidarischen Bürgergesellschaft bewegt sich um das Credo, dass Bürgergesellschaft und staatliches Handeln zusammengehören und einander ergänzen. Die aktive Bürgergesellschaft ist für den demokratischen Staat lebensnotwendig. Aus ihr kommen die Impulse, die staatliches Handeln korrigieren und anregen.
Letztlich kreist also auch das solidarische Modell der Bürgergesellschaft um das Thema Freiheit. Private Freiheit wird hier jedoch nicht als Selbstzweck, sondern als Bedingung für öffentliche Freiheit verstanden. Der Freiheitsbegriff soll hier nicht gegen den Staat in Stellung gebracht werden. Vielmehr setzt das Modell auf einen Staat, der die Bedingungen für die Entfaltung bürgergesellschaftlicher Freiheit garantiert und dadurch eine aktivierende Funktion innehat. Das Verhältnis von Staat und Gesellschaft wird in den Szenarien der solidarischen Bürgergesellschaft als ein Komplementärverhältnis beschrieben. In dem Maße, wie staatliches Handeln bürgerschaftliches Engagement fördert und aktiviert, kann die Bürgergesellschaft sich entfalten und dient der Verwirklichung von Freiheit. Die Bürgergesellschaft soll staatliches Handeln ergänzen.
Was heißt das konkret? Die Vertreter einer solidarischen Bürgergesellschaft erhoffen sich angesichts der großen Probleme der Gegenwart, mit deren Bewältigung staatliches Handeln allein überfordert zu sein scheint – man denke an die Krise der Sozialsysteme, die Reform des Bildungswesens, die Integration von Zuwanderern oder den demografischen Wandel –, neue Wege der Gesellschaftspolitik und eine Wiederbelebung demokratischer Tugenden in Zeiten zunehmender Parteienverdrossenheit und Wahlabstinenz. Dabei ist die These leitend, dass der Staat unter veränderten gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen auf die aktive Bürgergesellschaft als Sphäre politischen Handelns angewiesen sei. Das Konzept stellt damit die Frage in den Vordergrund, wie man sich ein Zusammenwirken bürgerschaftlichen Engagements mit staatlichem Handeln praktisch vorstellen könnte.
Die aus der Tradition sozialer Demokratie stammende Idee von Freiheit durch gesellschaftliche Teilhabe, die das Modell der solidarischen Bürgergesellschaft kennzeichnet, kommt der modernen Gesellschaft mit der ihr potenziell innewohnenden partizipatorischen Dynamik entgegen. Insofern hat das Modell einiges an Plausibilität für sich und folgt der Frage, wie sich das Verhältnis von Staat und Gesellschaft unter bürgergesellschaftlichen Vorzeichen verändern lässt.
Am Ende erscheint das Konzept der solidarischen Bürgergesellschaft als das bessere. Denn hier geht es um materielle Sicherung sozialer Infrastruktur als Voraussetzung für die Entfaltung der Bürgergesellschaft. Die »Modernisierung« des Wohlfahrtsstaates muss sich daran messen lassen, inwiefern sie tatsächlich und verlässlich soziale Sicherheit als Voraussetzung für die Entfaltung von bürgerschaftlichem Engagement und Bürgergesellschaft garantiert. Zudem geht es darum, staatliches Handeln für Impulse aus der Bürgergesellschaft zu öffnen. Die vielzitierte »Weisheit der Vielen« (Surowiecki 2007) wäre nicht der schlechteste Ratgeber für staatliches Handeln. In den gegenwärtigen Strukturen dominiert jedoch eindeutig – wenigstens auf Bundesebene – eine Strategie des Einspannens von bürgerschaftlichem Engagement in staatliche Aufgaben unter dem schwachen Schein einer halb verdauten und schlecht
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