Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bd. 1 - Die dunkle Schwinge

Bd. 1 - Die dunkle Schwinge

Titel: Bd. 1 - Die dunkle Schwinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter H. Hunt
Vom Netzwerk:
das Gleiche.« Nun war es an MacEwan, ihrem vorgesetzten Offizier einen durchdringenden Blick zuzuwerfen. »Sich ergeben und sich umbringen, das sind zwei völlig verschiedene Dinge. Würden … könnten sie sich ergeben, würden sie von uns erwarten, dass wir Gnade walten lassen. Das würden wir auch machen.«
    »Das heißt?«
    »Das heißt, sie würden nicht sterben. Aber es war so, als wollten sie sterben. Als sei das besser, anstatt zu kapitulieren. Nur warum haben sie dann nicht gekämpft?«
    »Hätte das ihre Zerstörung leichter gemacht? Hätte es auch die Zerstörung der Nester auf der Oberfläche leichter gemacht?«
    »Wie soll ich das verstehen, Commodore?«, gab MacEwan wütend zurück. »Wollen Sie andeuten, ich wäre meiner Pflicht nicht nachgekommen, Sir?«
    »Nein, da ziehen Sie den falschen Schluss, Sharon.« Sergei atmete tief durch. »Ich will damit sagen … ich neige eher zu Yuris Ansicht. Ich weiß Bescheid über die Tradition der MacEwans, über Bannockburn und Bonnie Prince Charlie und alles andere. Ich weiß von Anderson’s Star, von Boren, von der Rettung der Bolivar, und auch, wie Sie sich Ihr White Cross verdient haben. Die Kriege gegen die Zor haben genug romantischen Stoff für die Legendenbildung mit sich gebracht, die Dinge, die zu Ihrer Familientradition beitragen. Ich wiederhole, was ich nach L’alChan gesagt habe: Ich werde Ihnen keine Orden für das verleihen, was Sie durchgemacht haben. Es ging nicht um Heldenmut, um Drama oder Legenden. Es ging nur um Zerstörung, brutal, massiv, aber notwendig – zumindest nach Admiral Marais’ Vorstellung. Darum geht es in diesem Krieg.« Sergei blickte zur Seite, da er Sharon MacEwans Miene nicht sehen wollte. Seine Worte dürften auf sie kaum Eindruck gemacht haben.
    »Hat der Commodore noch weitere Fragen?«, fragte sie Sekunden später. Sergei konnte die unterdrückte Wut in ihrer Stimme hören.
    »Nein, ich glaube nicht. Danke für Ihre Zeit. Weggetreten.«
    Als Sergei aufblickte, lösten sich gerade die beiden Bilder auf. Okomes Gesicht hatte kurz vor dem Abschalten des Holos einen sonderbaren Ausdruck angenommen – wie der eines Studenten an der Akademie, der sich durch ein Problem kämpfte, nur um auf ein noch schwierigeres Problem zu stoßen.
    Obwohl das Bild längst verschwunden war, schien ein spöttisches, höfliches Lächeln zurückzubleiben. Endlich kommt die Wahrheit ans Licht, sagte es. Jetzt siehst du’s.
    Als der Abflug von A’anenu näher rückte, schien sich im ganzen Schiff Aufbruchsstimmung bemerkbar zu machen. Das Ausmaß dessen, was beim nächsten Ziel des Feldzugs geschehen würde, schien außer Sergei niemandem bewusst zu sein. Vielmehr erweckte es den Anschein, die anstehenden Zerstörungen und das zu zerstörende Objekt würden nur noch stärker zur Eile anspornen. Immer mehr Besatzungsmitglieder und Offiziere lasen in Marais’ Buch. Als Sergei während einer Wache die Offiziersmesse betrat, hatte man einen Ausdruck ans schwarze Brett gehängt. Es war ein Auszug aus Der totale Sieg:
    Eines der grundlegendsten Probleme der Menschheit ist zu allen Zeiten der Geschichte die Unfähigkeit – oder die mangelnde Bereitschaft – gewesen, sich mit dem Gedanken der persönlichen Gewalt auseinander zu setzen.
    Es herrscht der Irrglaube, die Menschheit stehe über dem Hass, und das Individuum sollte dieses Gefühl besser unterdrücken, anstatt sich damit zu beschäftigen. Gewalt war schon Teil des menschlichen Lebens, lange bevor die Menschheit in der Lage war, ihre Geschichte aufzuzeichnen.
    Wir können uns nicht länger vor dieser Tatsache verschließen. Es ist unmöglich, sie hinter einer Mauer oder in einem Schrank zu verstecken. Es ist von größter Wichtigkeit, dass wir sie bändigen und dazu einsetzen, mit ihr das Beste zu erreichen: die Vernichtung der Feinde unserer Spezies, um unser eigenes Überleben zu garantieren.
    Sergei hätte den Ausdruck am liebsten von der Wand gerissen und seine Offiziere antanzen lassen, um von ihnen zu erfahren, wer das Blatt dort aufgehängt hatte. Es war beleidigend, und es machte ihn krank. Doch er tat es nicht, obwohl seine Hand bereits danach greifen wollte. Fünfzehn Jahre lang hatte er genau das gemacht, was Marais beschrieb. Er hatte den Hass auf die Zor ausgelebt, der vielleicht in seiner Intensität deren eigenem Hass auf die Menschen entsprach. Nun war die Menschheit kurz davor, diese Bedrohung für immer zu beseitigen, und das bedeutete den Höhepunkt seiner Karriere –

Weitere Kostenlose Bücher