Bd. 1 - Die dunkle Schwinge
fremder Gedanke.
»Unsere Kultur ist älter und in mancher Hinsicht leidenschaftlicher als die Ihre«, sagte er, als der Salat abgeräumt und durch das Hauptgericht ersetzt wurde, zu dem irgendeine Art von Fleisch gehörte. »Und doch war Ihr kämpferisches Geschick unserem stets ebenbürtig oder sogar überlegen. Als sich unsere Spezies zum ersten Mal begegneten, waren unsere Kräfte in etwa gleichwertig, obwohl wir zehnmal länger das All bereist hatten. Wir hatten ein identisches Niveau erreicht, aber mit zwei höchst unterschiedlichen Geschwindigkeiten.«
Er legte seine Klauenhände zu beiden Seiten des Tellers auf den Tisch und erklärte: »Zwei Flüsse. Einer fließt schnell von den Bergen kommend ins Meer, ein anderer bahnt sich gemächlich und geduldig seinen Weg, bis er sein Ziel erreicht hat. Und doch gehen beide im Ozean auf, der keinen Unterschied macht.«
Die naZora’i hörten ihm gebannt zu, wie ihm auffiel. »Unsere Spezies ist der geduldige Fluss. Wir haben eine andere Richtung eingeschlagen, wenn die Träume des Hohen Lords das von uns verlangten. Unser Tempo hat sich beschleunigt, wenn esLi es von uns forderte, aber insgesamt haben wir die sanfteren Wege gewählt. Verglichen damit sind Sie der schnell fließende Strom. Sie stürzen sich kurz entschlossen von Berghängen, Sie graben neue Flussbetten in den Grund. Sie reisen so schnell durch das Land, dass Sie von ihm kaum Notiz nehmen können. In der Zeit, in der der geduldige Fluss zehn Meter zurücklegt, ist der schnelle Fluss bereits hundert Meter weiter. Und doch wartet auf beide dasselbe Ende.«
Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Mit anderen Worten: Sie haben sich erst lange nach dem Volk auf den Weg gemacht, und doch haben Sie uns bereits eingeholt, wenn nicht sogar überholt. Damit sind wir mit dem Jüngsten Tag konfrontiert, den esLi Selbst bestimmt hat.«
»Anpassen oder das Nachsehen haben?«, fragte der menschliche Kommandant.
»Nein, ha Commodore, so einfach ist das nicht. Als geduldiger Strom mag es unsere Bestimmung sein, in den Ozean zu münden … und damit kein anderes Ziel mehr zu haben.«
Sergei erinnerte sich an die Worte des Kommandanten der Basis. »Wenn der Hohe Lord es befiehlt … oder wenn esHu’ur es befiehlt … dann wird das Volk der Zor aufhören zu existieren.« Er musste an Marc Hudsons Bemerkung denken, dass sich das nicht nach einem Vorsprung in der Evolution anhöre.
»esHu ’ur – der Admiral – respektiert Ihr Volk viel zu sehr, um so etwas zu befehlen«, sagte Sergei. »Ich halte ihn für fähig, das Ende Ihres Volks anzuordnen, aber er verspürt kein solches Verlangen.«
»Der Hohe Lord wird … muss das tun, was esLi befiehlt«, erklärte Gyu’ur. »Der Hohe Lord hat vom Admiral geträumt, und er ist bereit, sich dessen Bitte um ein Gespräch zu öffnen.«
»Die Bitte des Admirals?«
»So habe ich es verstanden, ha Commodore. Es wurde im Traum übermittelt, dass Ihr Admiral um ein Treffen mit hi Sse’e gebeten hat.«
»Welchem Zweck soll dieses Treffen dienen?«
»Das weiß ich derzeit nicht.«
»Captain.« Sergei legte die Hände gefaltet auf den Tisch und beugte sich vor, während der Zor ein wenig zurückwich. »Sie haben Ihr Leben lang gegen mein Volk gekämpft. Ich habe mein ganzes Leben als Offizier des Militärs das Ziel verfolgt, so viele Zor wie möglich zu vernichten. Wir haben eindeutig einen Punkt erreicht und auch bereits hinter uns gelassen, nach dem keine Umkehr mehr möglich ist.«
»Ein aLi’e’er’e«, sagte Hyos. »Die Wahl des Fluges.«
»Wir befinden uns jetzt auf einem anderen Flug, Captain«, erwiderte Sergei. »Die Welt ist jetzt eine andere. Nach sechzig Jahren Feindschaft ist es durchaus möglich, dass wir Freunde werden. Nichts kann uns daran hindern …«
»Bis auf esLi«, betonte der Zor-Captain.
Die Flügelpaare aller drei Zor nahmen die Haltung der Ehrerbietung gegenüber esLi ein, während die Stühle Mühe hatten, sich der Veränderung anzupassen.
»Werden Ihre Nestlords den Frieden wählen?«, fügte Gyu’ur an. »Sie und ich, wir sind Personen des Militärs. Wir können uns auf eine veränderte Situation einstellen. Wir können sogar eine andere Richtung akzeptieren. Aber wir entscheiden nicht selbst, sondern führen lediglich aus, was uns aufgetragen wurde. Was der Hohe Lord oder der Imperator – oder Lord esHu’ur – befiehlt, führen wir aus. Alles andere wäre – ganz gleich, was wir persönlich möchten – ein Verrat an unserem
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