Bd. 3 - Der dunkle Stern
Zeitpunkt des Erwachens exakt bestimmen, aber der Grund erschloss sich ihm nicht. Es störte ihn auf jene beunruhigende Weise, die jeder Fühlende empfand, wenn er etwas bemerkt, aber aus einem unerklärlichen Grund nicht erkannt hatte.
Er zog ein Gewand über und ging zum Lanai, wobei er stumm die verdammte Schwerkraft hier auf Terra verfluchte. Der einzige Mond dieser Welt lag halb im Schatten, die Sterne leuchteten außergewöhnlich hell und klar. Sogar die Lichter der großen Nahrungsförderstationen draußen auf dem Meer konnten die Sicht kaum stören.
Was hatte ihn vor einem Sechzehntel einer Sonne aufgeweckt? Es bereitete ihm Unbehagen, so wie einem Wächter, der für einen kurzen Augenblick zur Seite geschaut hatte und danach von dem Gefühl verfolgt wurde, ihm sei irgendwas entgangen. Er war sich sicher, es hatte etwas mit dem Täuscher zu tun. Es war nicht der stechende Geruch eines insektoiden Aliens, auch wenn es von ihrer Art ein paar auf Oahu gab. (Doch, esLi sei gelobt, der Imperator war vor ihnen sicher – und sie waren ohnehin nichts weiter als Spione.) Nein, er war davon überzeugt, dass es sich um einen Diener von esGa’u handelte. Einen Neuankömmling vermutlich. Vielleicht war es sogar Der mit der Tanzenden Klinge persönlich, auch wenn Mya’ar das eher für unwahrscheinlich hielt. Dieser Eine richtete seine Pläne in diesen Tagen ausschließlich auf se Jackie.
Er überlegte noch einige Augenblicke lang und rief dann sein alHyu. Ein Aircar würde ihn in einem weiteren Sechzehntel einer Sonne nach Diamond Head bringen. An Schlaf war in dieser Nacht nicht mehr zu denken.
In einem elegant eingerichteten Apartment sechzig Stockwerke über der wunderschönen natürlichen Lagune der Hanauma Bay östlich der imperialen Unterkunft auf Diamond Head litt noch jemand unter Schlaflosigkeit. Doch dieser Jemand ging keinen philosophischen Überlegungen nach, und es war auch nicht die Irritation eines Fühlenden, die ihn wach hielt. Es waren viel weltlichere Sorgen, die ihm den Schlaf raubten.
Nicht ganz so mit sich selbst zufrieden und nicht ganz so nüchtern, wie er es eigentlich bevorzugte, saß Hansie Sharpe in einem bequemen Ohrensessel. Er war allein und fühlte sich elend. Die letzten Wochen hier waren schwierig gewesen, auch wenn seine Gastgeber Natan und Aliya Abu Bakr – beide unglaublich wohlhabend und die Höflichkeit in Person – immer wieder darauf bestanden, er könne so lange bleiben, wie er wolle. Derzeit hielten sie sich fernab des Planeten auf und trauerten um ihren Neffen, der in der Ersten Schlacht von Adrianople gefallen war.
Ihre Großzügigkeit war am Anfang ein Geschenk Gottes gewesen, doch inzwischen war sie zu einer erdrückenden Last für ihn geworden. Am Hof hatte Hansie es in alle Richtungen versucht und jeden in Anspruch genommen, der ihm noch einen Gefallen schuldete. Doch es wurde immer offensichtlicher, dass er keine besseren Chancen auf eine Gunst vonseiten des Imperiums hatte als Dutzende andere, die es ebenfalls hierher verschlagen hatte, nachdem sie vom Krieg ihres bisherigen Luxuslebens beraubt worden waren.
»Du bist ein Parasit«, sagte er zu sich selbst. Ein leicht zerzaustes Spiegelbild betrachtete ihn in den Glastüren, hinter denen sich die Nacht auf Hawaii herabsenkte. »Mehr bist du nicht, nur ein elender Parasit.«
Jetzt hatte er es ausgesprochen. Weit weg von Cle’eru verfügte er nicht mehr über seine vielen Annehmlichkeiten – kein Einfluss, kein Geld, keine Beziehungen, die ihm noch mehr Geld einbrachten. Mit anderen Worten: keine Zukunft.
Jenseits der Glastüren erstreckte sich der Pazifik scheinbar bis in die Unendlichkeit. Von hier aus waren es hundertachtzig Meter nach unten bis zur reibungsarmen Oberfläche des Lunalilo Gevway am Fuß des Gebäudes.
Nie zuvor hatte er über Selbstmord nachgedacht. Als die Menschen noch auf das hörten, was er sagte, hatte er es als den Akt von Schwächlingen abgetan, denen es an Kreativität mangelte und die nicht erkannten, welche Wege ihnen in Wahrheit offenstanden.
Auch hatte er sich noch nie zuvor so hilflos und orientierungslos gefühlt. Mit einem Mal war der Gedanke ungeheuer verlockend, dies alles hinter sich zurückzulassen.
Etwas störte seine Überlegungen – ein Lichtblitz, wie ein Phosphorlicht, das kurz aufflammte und dann erlosch. Sofort stand er auf und drehte sich um, und zu seiner Überraschung sah er, dass jemand ins Apartment gekommen war und nun an seinem Sideboard … am Sideboard
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