Bd. 3 - Der dunkle Stern
Situation …« Er sah zu dem herannahenden Shuttle, der nun deutlich zu sehen war und wie ein glühender Raubvogel wirkte, der sich langsam auf die Landebahn herabließ. »Sie sind sich aber des Risikos bewusst: Ohne den Schutz des gyaryu haben die Fühlenden kaum eine Chance, dem zu widerstehen, was mit Gewissheit kommt. Ohne die Fühlenden wird es keinen Kreis geben, in dem man stehen kann.«
»Ich bin mir dessen bewusst«, erwiderte T’te’e müde. »Ich habe keine Kontrolle …«
»Das ist das Problem, ha T’te’e, nicht wahr?«
»Was?«
»Dass Sie keine Kontrolle haben.«
»Ich bin nicht einer Ihrer Schüler, se Byar. Zum zweiten Mal sind Sie gefährlich dicht davor gewesen, meine Ehre zu berühren. Ich werde diese Indiskretion ungeahndet lassen. Oder sind Sie auf eine Konfrontation aus?«
»Nein, das bin ich nicht. Natürlich bin ich das nicht. Wonach ich strebe, ist Ihr Eingeständnis, dass niemand mehr die Situation unter Kontrolle hat. Sie ganz bestimmt nicht mehr.«
»Welchem Zweck könnte dieses ›Eingeständnis‹ dienen?«
»Es durchbricht die Eiswand, alter Freund. Es durchbricht die Eiswand.«
T’te’e hielt dem Blick des Meisters des Sanktuariums einige Momente lang stand. Ein zufälliger Beobachter hätte geglaubt, die beiden mächtigen Fühlenden würden wetteifern, wer den stärkeren Willen hat. In ihrem Zustand der gesteigerten Wahrnehmung erfassten sie zufällige Gedanken aus ihrer Umgebung:
Was hat der Alte zu ihm gesagt? … die Klinge von ha T’te’e singt, das kann ich hören! … Vielleicht sprechen sie tonlos. Möglicherweise können ja die Techniker im Labor aus der Aufnahme etwas herausfiltern …
Der Shuttle des Gyaryu’har setzte auf dem Landefeld auf, der Hohe Kämmerer wandte den Blick ab vom Meister des Sanktuariums und ließ die Hände sinken. Seine Flügel nahmen eine Position des Bedauerns ein.
»Angesichts der gegenwärtigen Verfassung des Hohen Lords und der Tatsache, dass der Gyaryu’har unbewaffnet und indisponiert ist, bin ich der ranghöchste Krieger des Volks. Wollen Sie mir sagen, dass jemand anders die Gefahrvolle Stiege überwindet, um sich dem Täuscher zu stellen und das gyaryu zurückzuholen, während ich mich im Tal der Verlorenen Seelen abmühe?«
»Der Wille von esLi ist seine eigene Angelegenheit, wie Sie wissen.«
»Sie ist nicht einmal eine Kriegerin des Volks«, zischte T’te’e. »Auch wenn ich geholfen habe, sie auf diesen Flug zu bringen, hätte ich niemals gedacht, dass wir das Schicksal des Volks allein in ihre Hände legen würden.«
»Sie sind unaufrichtig. Sie kennen die Legenden. Von allen im Volk müssten gerade Sie die Geschichte kennen – und ihren Ausgang. Wichtiger ist noch, dass die esGa’uYal einen vom Volk erwarten und auch danach Ausschau halten, se Jackie mag keine vom Volk sein, aber sie ist ohne jede Frage eine Kriegerin.«
T’te’e wich Byars Blick aus und bewegte sich zum Rand der Plattform. Ein Kordon aus Wachleuten bildete sich um ihn herum. »Es ist Zeit für die Willkommenszeremonie«, sagte er, ohne näher auf Byars letzte Bemerkung einzugehen. Ohne einen weiteren Blick oder eine Geste erhob sich T’te’e in die Lüfte, bis er die obere Flugbahn des Terminals erreicht hatte.
So viel Staub lagert sich auf seinen Schwingen ab, dachte Byar und brachte seine Flügel in eine Pose des Respekts vor esLi. Er muss die Eiswand durchbrechen, sonst werden wir tatsächlich alle verloren sein.
Die Kameras zeichneten die Willkommenszeremonie aus einiger Entfernung auf. Während acht Zor in der Livree des Hohen Nestes mit gezücktem chya dastanden und ihre Flügel in der Position des Heldenschwerts hielten, flogen acht weitere in Formation und beschrieben dabei Figuren, die sich kaum verändert hatten seit ihrer ersten Demonstration für den ersten Gyaryu’har, den Helden Qu’u, als er mit dem Reichsschwert von der Ebene der Schmach zurückgekehrt war. Für die Hunderte von Milliarden des Volks und die zig Billiarden Menschen, die das Schauspiel sahen oder später sehen würden, besaß der ausgefeilte und komplexe Tanz in der Luft einen hohen künstlerischen Wert … doch nur das Volk verstand die symbolische Bedeutung, die sich seit der Zeit von Qu’u ebenfalls nicht geändert hatte.
Der Gyaryu’har ist zu Hause.
Das gyaryu ist zurückgekehrt.
esLi vergib mir, sagte sich T’te’e, als das Grav-Bett von der Schleuse des Shuttles herabsank. Er hielt sein chya zum Salut erhoben, und seine Flügel
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