BE (German Edition)
im Spaß, Spielberg als »Schiedsrichter« zu befragen. Es stellte sich leichter dar, als wir gedacht hatten. Er erklärte sich ohne viel Aufhebens bereit, sich den Film mit uns in Los Angeles anzusehen. Ich weiß noch gut um meine innere Aufregung, als wir am vereinbarten Termin am Eingang des Vorführraums eines Studios (welches habe ich vergessen) auf ihn warteten. Als er dann pünktlich in einem unscheinbaren Auto um die Ecke bog, ausstieg und in Jeans und Jeansjacke, auf dem Kopf eine Baseball-Mütze, auf uns zuging, war ich fast so etwas wie enttäuscht. Offensichtlich hatte ich gedacht, dass ihn eine Polizeieskorte mit Blaulicht begleiten oder mindestens ein Herold mit Fanfare ankündigen würde. Nichts dergleichen. Über die Maßen höflich, fast bubenhaft, drückte er Wolfgang und mir die Hand und erklärte uns, wie sehr er sich auf die Vorführung freuen würde. Den Film schaute er sich, ohne eine einzige Bemerkung oder sich irgendeine Notiz zu machen, mit fast spürbarer Konzentration an. Als dann das Licht anging, lud er uns für den nächsten Tag in seinen Schneideraum ein. Dort ließ er sich die erste Rolle einlegen und startete den Film. Schon nach wenigen Sekunden hielt er an, machte eine Bemerkung über einen bestimmten Schnitt, sehr ruhig, sehr präzise, sehr respektvoll. Wir machten Notizen. Dann weiter, wieder stopp, wieder eine Bemerkung zum Schnitt. Dann wieder weiter. So ging es Rolle für Rolle, den ganzen Tag lang. Nicht ein einziges Mal ließ er den Film zurücklaufen, um sich seines Urteils zu vergewissern. Es war, als hätte er den gesamten Film auf einer inneren Festplatte gespeichert. Praktisch alle seine, den Schnitt betreffenden Bemerkungen liefen auf Kürzungen hinaus. Und alles machte Sinn. Später beim Abendessen sagte er noch, er hätte selbst lange gebraucht, den Hitchcock-Satz zu begreifen: »Kürzer ist besser.« Ausgeschrieben bedeutet der Satz natürlich: »Wenn du eine Geschichte kürzer erzählen kannst, dann erzähle sie kürzer.«
Den ganzen Abend redeten wir über Film. Fast schon schien es mir, als wäre er einer von uns. Aber ein anderes Gefühl beschlich mich. Damals wusste ich noch nicht so genau, was es war. Heute im Computerzeitalter glaube ich, weiß ich mehr darüber. Heute würde ich die Situation als virtuell bezeichnen. Und dieses Gefühl habe ich bis heute, jedes Mal wenn ich Spielberg treffe. Es ist eine virtuelle Situation. Der Mann, der da vor mir sitzt und verschmitzt Anekdoten erzählt – z. B. über seine Arbeit mit David Lean –, ist nur zum Schein Steven Spielberg. In Wirklichkeit ist es das Kino selbst, das zu mir spricht.
Als Dank für seine Hilfe schickte Bernd Steven Spielberg das »Aurum« aus dem Film, das tatsächlich vergoldet und mit echten Edelsteinen besetzt war. Mit Hilfe des Aurums wollte Bernd Spielberg sagen, dass seine Bewunderung für ihn unendlich war. Leider kam die Nachricht nie an. Anstatt bei Bernd bedankte sich der kindliche Kaiser bei Wolfgang Petersen für das großartige Geschenk.
Wie Steven Spielberg war auch Bernds langjährige Assistentin Anna Gross Jüdin. Für sie war es nicht selbstverständlich, mit einem Deutschen zusammenzuarbeiten.
Ihre jüdische Familie war alles andere als begeistert, dass sie für einen deutschen Produzenten arbeitete. »Ich rief meine Großmutter vom Set der ›Unendlichen Geschichte‹ an, und sie fragte mich: ›Wo bist du Darling?‹ Als ich ihr sagte, dass ich in München sei, meinte sie: ›Ich bin 83 Jahre alt und was mich anbelangt, bist du in Paris!‹ Alles, was deutsch war, war in meiner Familie verboten. Wagner war verboten, niemand fuhr Mercedes – du darfst nicht vergessen, dass, als ich geboren wurde, der Krieg erst sechs Jahre vorbei war! Wo ich herkam, waren Deutsche grundsätzlich schlechte Menschen. Als ich dann Bernd kennenlernte – und Bernd war so deutsch und hatte auch kein Problem damit, Deutscher zu sein –, öffnete das eine ganz neue Welt für mich. Nicht nur die Biergärten von München! Ich habe junge Leute kennengelernt, die genauso politisch und verantwortungsbewusst waren wie meine amerikanischen Gleichaltrigen, wenn nicht noch mehr.«
Bernd empfand seine deutsche Herkunft und seinen deutschen Akzent nie als ein Manko in Hollywood, auch wenn die Stadt damals alles andere als deutsch-freundlich war. Viele seiner Freunde in Hollywood waren Juden, aber dadurch, dass Bernd sich nie den Schuh der Kollektivschuld anzog, wurde er auch nicht als
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