BE (German Edition)
Zimmer nahm, musste ich auf seinem Sofa schlafen. Er konnte einfach nicht alleine schlafen. Er hatte Angst vor Geistern.
Bernd erzählte, dass er den Huren vom Sunset Boulevard oft auch anbot, sich in seiner Hotelsuite auszuruhen. Den ganzen Tag lang auf der Straße herumzustehen sei ja sehr anstrengend. Er lud sie zu sich in die Suite 64 ein, ließ sie auf seinem Sofa schlafen, ohne dass er dafür eine Gegenleistung verlangte. Manchmal machten bis zu drei Huren bei ihm Pause. Nie habe er dabei seine Brieftasche in den Safe getan und nie sei ihm etwas gestohlen worden. Nur als er einmal eine kleine Anstecknadel mit dem Kopf eines Schäferhundes – eigentlich ein billiges Ding aus Blech, aber in die Augenhöhle hatte er einen echten Diamanten kleben lassen – im Zimmersafe deponierte, brach eine seiner Besucherinnen den Safe auf und stahl die Nadel. Aber das war das einzige Mal, dass sein Vertrauen missbraucht worden sei. Er war den Huren dankbar, dass sie ihm Gesellschaft leisteten. Ohne sie wäre er seinen Dämonen hilflos ausgeliefert gewesen.
Allerdings muss in diesem Zusammenhang auch erwähnt werden, dass Bernd bei seinem ersten Aids-Test der kalte Angstschweiß packte. Es war Mitte der Achtziger, und in München hatte die Krankheit, für die es damals noch keine Behandlungsmöglichkeiten gab, in kurzer Zeit viele seiner Bekannten dahingerafft und vor allem die Schwulengemeinde erschreckend reduziert. Nach all seinen Eskapaden und Abenteuern im Rotlichtmilieu war er überzeugt, dass nun die Prophezeiung seines Vaters wahr werden und er elendig an einer Geschlechtskrankheit verrecken würde. All die zahllosen Huren, die er über die Jahre ohne Kondom gevögelt hatte. Es konnte nur an ein Wunder grenzen, wenn keine von ihnen HIV-positiv gewesen war. Das Wunder trat jedoch ein. Bernds HIV-Test war negativ – und Bernd von da an sehr vorsichtig.
Wie genau dieser Wahnsinn aussah, den Bernd in den Achtzigern in Los Angeles durchlebte, ist zwei Mal sehr präzise beschrieben worden. Einmal von Sofia Coppola in ihrem Film »Somewhere«. Stephen Dorff spielt einen Hollywood-Action-Star, der im Chateau Marmont lebt und dort eine einsame, wenn auch luxuriöse Existenz fristet, aus der ihn auch nicht seine Tochter aus einer verflossenen Beziehung retten kann. Es ist ein melancholischer Film ohne viel Handlung. Das Stimmungsbild eines erfolgreichen und trotzdem bedrückend leeren Lebens, immer haarscharf an den Glücksmomenten vorbei. Bernd sah in dem Film sein damaliges Leben perfekt dargestellt. Er konnte es nicht fassen: Sofia Coppola hatte, ohne es zu wissen, einen Film über ihn gemacht! Kurz vor seinem Tod nominierte er »Somewhere« für die »Best Picture«-Kategorie auf seinem Wahlzettel für die Oscars 2011.
Die zweite eindringliche Beschreibung von Bernds damaligem Geisteszustand hat er selbst geliefert. In einem Artikel für das mittlerweile leider eingestellte TransAtlantik -Magazine:
Keine Rosen ohne Dollars
Verhandlungen eines deutschen Produzenten in Hollywood Protokoll von Bernd Eichinger
Los Angeles, Mittwoch, 8:30 Uhr morgens – 6. November 1985. Am Montag, also in vier Tagen, sollen die Dreharbeiten zu »Der Name der Rose« im Kloster Eberbach bei Frankfurt beginnen. Dort ist es jetzt 17.30 Uhr.
Durch die getönten Scheiben der Limousine blicke ich auf den Sunset Boulevard und überlege, wie es wohl im Moment in Deutschland am Drehort aussehen mag. Das fällt mir nicht schwer – ich habe es oft gesehen: diese Hektik der letzten Tage vor dem Dreh, die unkontrollierte Panik Hunderter von Mitarbeitern, ihre nervöse Ausgelassenheit. In diesen Tagen wird sich herausstellen, ob die Crew von annähernd 400 Mann – aus Deutschen, Italienern, Franzosen, Amerikanern und Engländern zusammengestellt – sich zu einer Einheit fügt, ob sie ein Team werden. Ich sollte dort sein, gerade jetzt wäre meine Präsenz notwendig – aber ich weiß nicht mal, auf welche Sprache sich meine Crew einigen wird. Ich fühle mich wie ein Vater, der seine Kinder aus der ganzen Welt am Tisch versammelt hat und nun selbst das Essen verpasst.
Der Fahrer biegt rechts in den Rodeo Drive ein, der uns über den Santa Monica Boulevard zur Century City, dieser monströsen Bürostadt, führt.
Ich sollte bei meiner Crew sein, bei meinem Regisseur, aber ich kann nicht. Ich musste diesen Flug nehmen, der mich gestern hierher nach L.A. gebracht hat.
Mir ist schlecht wie immer am ersten Morgen nach
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