BE (German Edition)
wann immer er Hilfe bräuchte, sich an Spiegel wenden solle. Bernd war sehr berührt und stolz, dass Spiegel ihm dieses Angebot machte und vor allem, dass er »Der Untergang« gut fand. Nur wollte er ohne diese letzte Zuflucht auskommen. Am Abschluss einer sehr langen und sehr anstrengenden Pressearbeit stand die Talkshow von Maybrit Illner. Bernd wusste nicht, wer sonst noch eingeladen war. Er wusste nicht, dass in dieser Sendung »Der Untergang« der Prozess gemacht werden sollte und er quasi auf der Anklagebank saß, allein mit Marcel Reich-Ranicki als seinem nicht wirklich auf seiner Seite stehenden Verteidiger. Dass dem so war, wurde ihm erst vor der Sendung im Warteraum bewusst. »Was soll ich nun tun?«, fragte er sich. Er war des Streitens, des Rechtfertigens, des Verteidigens so müde. All diese Leute würden wieder nur ihre üblichen Sprüche runterspulen und dabei dann doch nur versuchen, auf seinem Rücken ihr neustes Buch zu verkaufen. Also entschied er sich, »den lieben Bernd« zu spielen. Er nahm einen Betablocker und eine halbe Beruhigungstablette und setzte sich in die Sendung. Mit dem Resultat, dass er sich nicht wehren konnte, als der geballte Quatsch auf ihn einprasselte und Maybrit Illner immer wieder die Stimmung mit Behauptungsfragen aufheizte. Bernd saß da, kochte innerlich und war dennoch zu müde, um einfach aufzustehen und zu gehen. Es war einer dieser Momente der Ohnmacht, an die Bernd sich mit Grauen erinnerte.
Als er schließlich wieder zurück nach München kam, konnte er kaum atmen. Er fühlte sich hundsmiserabel. Seine Assistentin Marianne Dennler sah ihn an, packte ihn ins Auto und fuhr ihn in die Klinik. Dort stellte sich heraus: Bernds Herz war schwer angegriffen. »Das ist knapp gewesen«, sagte ihm der behandelnde Arzt. Bernd war gerade noch rechtzeitig eingeliefert worden. »Der Untergang« hätte Bernd beinahe das Leben gekostet. Sein Herz war verwundet.
Bernd verbrachte mehrere Wochen in der Rehaklinik Lauterbacher Mühle. Dort saß er im Speisesaal neben Martin Moszkowicz’ Vater Immo. Die beiden verstanden sich sehr gut. Diese Begegnung war ohne Frage ein Teil von Bernds Heilung.
Bernd konnte sich nicht mit seiner neuen körperlichen Situation, die die tägliche Einnahme von Tabletten erforderte, auseinandersetzen, denn im November 2004 starb sein Vater. Nun brauchte seine Mutter Unterstützung und forderte tägliche Telefonate mit Bernd, die während des ersten Jahres nur aus Weinen bestanden. Irgendwann konnte auch Bernd nicht mehr. Er wachte eines Morgens auf, und der Abgrund, der sich vor ihm auftat, war so tief und finster, er konnte nicht mehr aufstehen. Melancholisch war er schon immer gewesen, aber er hatte nie gewusst, was Depression ist. Wie lähmend die Angst ist, die da wie ein Planet auf einen niederrast und kein Erbarmen kennt. Plötzlich saß er da und fürchtete sich, auch nur einen Schritt nach vorne zu gehen, weil ihm die Zuversicht fehlte, dass dieser Schritt ihn nicht in den Schlund unermesslicher Qualen ziehen würde. Er hatte Angst, ins Büro zu gehen, er hatte Angst mit Menschen zu sprechen. Er – der immer allen Zuversicht gegeben und dadurch diese riesigen Filmprojekte gestemmt hatte – konnte plötzlich nicht einmal mehr seine Wohnung verlassen. Der erste Film, den ich mir nach Bernds Tod alleine im Kino ansah, war Lars von Triers »Melancholia«. Die Szene, in der Kirsten Dunst Angst hat, in die Badewanne zu steigen, erinnerte mich an Bernds Erzählungen von seiner Erfahrung mit Depression.
Als »Der Untergang« für einen Oscar nominiert wurde, hätte er sich freuen sollen. Das erste Mal, dass Bernd offiziell ein Drehbuch für einen Kinofilm geschrieben hatte, und gleich ging der Film ins Rennen für einen Academy Award. Was für ein Triumph! Bernd überwand sich und flog nach Los Angeles. Dort gab es eine Abendveranstaltung, an der auch Bruno Ganz und Oliver Hirschbiegel teilnahmen. Bernds amerikanische Assistentin machte ein Foto von den dreien, das sie einrahmte und Bernd schenkte. Bernd zeigte es mir anderthalb Jahre später: »Schau, da war ich total am Ende. Es hätte einer der Höhepunkte meines Lebens sein sollen, aber in mir drin war alles nur schwarz und verzweifelt. Das Foto steht nur da, damit ich nicht vergesse, wie dreckig es mir damals ging.« Als ich das nächste Mal auf das Regal blickte, sah ich, dass das Foto zwar immer noch da stand, aber Bernd hatte eine Polaroid-Aufnahme von uns beiden, auf der ich auf seinem Schoß
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