BE (German Edition)
unter anderem mit einer sehr bockigen Kuh zu kämpfen, die sich nicht vom Fleck bewegen wollte. Der Film hieß »Der kleine Soldat«, basierend auf einer Kurzgeschichte von Guy de Maupassant. Genau wie Bernds »Canossa« war auch Ulis erster Film eine unglückliche Liebesgeschichte, doch statt Rache ging es darin um einen jungen Soldaten, der sich unsterblich in eine Kuhmagd verliebt und sich am Ende selbst tötet. »Im Gegensatz zu Bernds ›Canossa‹ war mein erster Film komplett unaggressiv. Jede Einstellung sollte wie ein Renoir-Gemälde aussehen!«, erinnert sich Uli, der genau wie Bernd ein sehr autoritäres katholisches Internat besucht hatte, wo Gewalt an der Tagesordnung gewesen war. »Aber klar, da gab es auch einen Wettbewerb zwischen uns beiden. Und da stand die Frage im Raum, wer denn nun von uns beiden den besseren Erstlingsfilm macht.«
Die Entscheidung dieses Wettbewerbs fand am selben Abend statt, denn sowohl Uli als auch Bernd zeigten ihre Filme ihren Studienkollegen. Bernds Film lief vor Ulis »Der kleine Soldat«. Seine Kommilitonen waren, wie gesagt, beeindruckt. Es wurde in der Diskussion danach viel über Schüsse und Einschläge in der Wand geredet. Bernd konnte zufrieden sein. Dann kam Ulis Film. Schafe liefen durchs Renoir-Bild. Der kleine Soldat starb. Es war sehr traurig. Dann ging das Licht wieder an. Und der Präsident der Filmhochschule drehte sich um und suchte mit den Augen nach Uli, der in der letzten Reihe saß und kurz vorm Nervenzusammenbruch stand. Der Präsident hob die Hand wie ein römischer Kaiser beim Gladiatorenspiel und zeigte mit dem Daumen nach oben. Die Erlösung. Nach der Vorstellung verließen alle den Saal, und Bernd und Uli gingen gemeinsam die Treppe hinunter. »Bernd und ich waren für einen Moment allein, und da sagt er zu mir: ›Uli, jetzt hast du den Vogel abgeschossen!‹ Klar war er auch stolz auf mich, denn er war ja auch an meinem Film beteiligt gewesen. Aber dieser Satz ›du hast den Vogel abgeschossen‹, das hatte Größe. Deswegen war der Alte so ein cooler Hund.«
Uli wurde mit seinem traurig-romantischen Film wesentlich mehr dem Ruf der Münchner HFF gerecht als Bernd mit seinem harten »Canossa«. Während die Berliner Filmhochschüler damals als die »Politischen« galten, hatten die Münchner den Ruf entwickelt, die »Sensiblen« zu sein. Allerdings beruhte dieser Ruf hauptsächlich auf Wim Wenders, der sich im A-Kurs, also unter den ersten Studenten der HFF München befand, und dort sofort zum Guru ernannt wurde. Ich kann mich noch gut an die Autofahrt durch Schwabing erinnern, als Bernd am Steuer saß und mir von einer Vorführung an der Filmhochschule erzählte, als er zum ersten Mal einen Kurzfilm von Wim Wenders gesehen hatte. In diesem Film habe Wim einfach die Kamera angeschaltet und – ohne jeglichen Schnitt – den vorbeifahrenden Verkehr aufgenommen, genau so, wie wir ihn jetzt bei der Autofahrt durchs verregnete Schwabing beobachteten. Bernd meinte, es habe ihn »umgehauen«, dass diese Bilder – die doch einfach nur beobachtend und konsequent unbearbeitet waren – eine solche Macht gehabt hatten.
Mit Wim Wenders sprach ich 2011 über Bernds Studienzeit:
Kannst du dich an Bernd als Student erinnern?
WW: Durchaus. Wir haben uns damals kennengelernt. Auch wenn wir aus dem A-Kurs damals ziemlich arrogant waren und meilenweit in der Luft geschwebt sind. Aber an Bernd kann ich mich gut erinnern, weil er auch so ein Auftreten hatte. Anders als die anderen. Die meisten von den C-Kurslern waren so zaghafte Figuren. Also, eher von uns auch verschreckt, weil wir so unverschämt waren. Und der Bernd hat sich überhaupt nicht beeindrucken lassen. Der war von Anfang an so strahlend und positiv. Und hat einen sofort für sich eingenommen.
Wie war die Stimmung damals in München und im Umfeld der HFF? Welche Atmosphäre hat da geherrscht?
WW: Der Anspruch und auch das Selbstbewusstsein und das tatsächlich Erreichte, dessen man sich rühmen hätte können, das hat weit auseinander geklafft. Im Grunde hatten wir ja alle nichts vorzuweisen. Der Einzige, der was vorzuweisen hatte, war der, der von der HFF abgewiesen und nicht zum Studium zugelassen worden war: Das war der Rainer Werner [Fassbinder]. Der war sauer und stinkwütend, dass er nicht zugelassen worden war, und als wir noch unsere ersten Kurzfilme gemacht hatten, hat der schon drei Spielfilme gemacht. Und hat’s uns so richtig gezeigt. Wir hatten eigentlich nichts zum Vorzeigen.
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