Beast
klein. Aber ich kann einem Tier so etwas nicht antun, egal wie tückisch es ist. Und außerdem: Woher soll ich wissen, wie viel man von dem Zeug nehmen muss? Und wie soll ich ihn dazu kriegen, es zu fressen?
»Überlass das Vieh einfach sich selber«, schlägt mein Dad vor. »Dann verhungert es.«
»Aber er macht Rabatz, wenn er Hunger hat. Womöglich |77| entdeckt ihn jemand und geht dabei drauf.« Ich halte inne. Ich will Dad nicht von meinen Träumen erzählen, meinen Albträumen, in denen er ausbricht und ein Blutbad anrichtet. Er braucht nicht zu wissen, dass ich sogar jetzt, wenn ich nachts im Halbschlaf ein Geräusch im Erdgeschoss höre, denke, er ist vielleicht meiner Witterung bis zu den Reynolds gefolgt und wartet unten auf mich. Dad braucht nicht zu wissen, dass ich nie schwimmen gehe, weil er vielleicht ausgebrochen ist und im Wasser lauert. Er braucht nicht zu wissen, dass ich schon geträumt habe, mein kleiner Bruder Chas wird bei lebendigem Leib gefressen und ruft um Hilfe.
»Ich brauch eine Knarre.«
Ein Gewehr ist eindeutig die beste Lösung. Ein sauberer Treffer zwischen die Augen und ich bin alle Sorgen los.
Mein Dad sagt ziemlich lange gar nichts. Ich musste herkommen. Er ist der einzige Mensch, den ich kenne, der mir eine Knarre besorgen kann. Er hat bestimmt noch Kontakte aus seiner Knastzeit. Und weil er beim Militär war, weiß er garantiert auch, wie man mit so was umgeht.
»Wie alt bist du jetzt?«, fragt er.
»Achtzehn«, schwindle ich.
»Ausgeschlossen.«
Ich weiß nicht, ob er mein Alter meint oder meine Bitte, mir eine Knarre zu besorgen.
»Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll. Er ist ein Riesenvieh. Ein Happs und man ist tot. Du solltest ihn mal sehen.«
Mein Vater schraubt ein braunes Fläschchen auf und |78| setzt es an die Lippen. Er verschluckt sich ein bisschen und das Zeug läuft ihm in den Bart. Mein Vater ist widerlich. Das ist kein Bier, was er da trinkt, das ist irgendein ganz übler, nach Petroleum stinkender Fusel.
Wahrscheinlich verreckt er demnächst dran.
»Von mir kriegst du keine Knarre, du verrückter kleiner Scheißer«, sagt er.
Schön, wenn Eltern einen unterstützen.
»Geh einfach nicht mehr hin. Es stirbt von allein. Denk nicht mehr dran.« Er lässt sich wieder in die Hängematte sinken. »Und jetzt zieh Leine.«
»Bitte, Dad!«
Er wedelt abwehrend mit der Hand.
»Er ist lebensgefährlich!«
»Dann bring’s in den Zoo. Mir isses wurscht. Geht mich nix an.« Er kehrt mir den Rücken zu.
»Du hast ihn mir damals mitgebracht.«
»Verpiss dich, Stephen.«
Er klingt jetzt irgendwie anders. Er spricht noch verwaschener, knurrt fast. Ich bin schon ein paar Schritte weg, als ich ihn rufen höre: »Lass den Hund hier!«
|79| Acht
Es wundert mich nicht, dass mir mein Vater nicht helfen will. So ist er nun mal. Trotzdem bin ich jetzt echt bedient.
Du bist wahrscheinlich neugierig, wie ich das Vieh überhaupt in den Käfig gekriegt habe. Einfach war das nicht, das kann ich dir sagen. Aber vor vier Jahren war er noch viel, viel kleiner als jetzt. Das war noch, bevor ich zu den Reynolds gekommen bin. Dass ich ein Jahr drauf so nah an den Stausee gezogen bin, war reiner Zufall.
Damals war ich erst dreizehn, aber schon ziemlich kräftig. Das Einzige, worin ich mal Glück gehabt habe. Die Größe. Ich war schon immer groß für mein Alter. Mit dreizehn war ich stärker als viele Sechzehnjährige. Ohne Scheiß. Ehrlich. Jedenfalls habe ich eines Abends auf einem Supermarkt-Parkplatz ein Auto geklaut, einen Volvo Kombi. Bestimmt keine Automarke, auf die ich stehe, aber ich wollte nicht auffallen. Ich weiß noch, dass ich wie eine alte Oma damit durch die Stadt gejuckelt bin. Damals hatte ich ihn noch in einer ausrangierten Badewanne in Dads Garage untergebracht. Dad war im Knast. Er hatte meine Mum so übel zugerichtet, dass nicht mal sie es verheimlichen konnte. Ausnahmsweise.
Ich hatte einen Strick dabei und schaffte es, mich auf |80| seinen Rücken zu setzen und ihm die Schnauze zuzuhalten. Wie gesagt, damals war er noch kleiner, ungefähr halb so groß wie ein ausgewachsener Collie. Trotzdem ist es ihm gelungen, mich in den Arm zu beißen. Ich konnte mich nicht wehren. Davon ist die Narbe. Ich habe ihm die Schnauze zugebunden, ihn in eine Decke gewickelt und in den Volvo verfrachtet.
Ich habe schon immer das meiste mit mir allein ausgemacht. Nicht mal Selby wusste über meinen kleinen Liebling Bescheid. Auf Selby ist kein Verlass. In mancher
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