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Beast

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Titel: Beast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Kennen
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gleicher Höhe, eine große Uhr schlug wie Big Ben die volle Stunde. Selby zeigte auf eine Holztür und im selben Augenblick kam ein Mann raus. Er wirkte ein bisschen verwirrt. Es war ein schöner, sonniger Morgen, darum hatte ich Schiss, dass er uns sieht, und duckte mich, aber Selby meinte, ich soll mich nicht so anstellen. Jedenfalls habe ich mich, als ich wieder nach unten sah, erst mal nur getraut, den Schatten von dem Mann anzuschauen. Er war lang und schräg und trug eine große Tasche in der Hand.
    Der Mann blieb stehen und schaute sich um, als würde er alles zum ersten Mal sehen. Sogar von Weitem war zu erkennen, dass sein Anzug nicht richtig saß und dass er schwarze glänzende Schuhe anhatte.
    »Das ist er nie im Leben, Selb«, raunte ich.
    Selby verpasste mir einen Rippenstoß. »Klar ist er das. Guck doch hin.« Er holte ein Fernglas aus der Tasche, das |68| er im Laden hatte mitgehen lassen, stellte es scharf und gab es mir. Ich schaute durch und an der Ziegelmauer entlang, bis ich den Mann drinhatte.
    »Hast recht«, sagte ich mit einem komischen Gefühl im Bauch. »Das ist er.« Er hatte dunkles Haar wie ich und war ganz blass. Er stand so krumm da wie Selby.
    Es war einwandfrei unser Dad. Volle drei Jahre hatte er gesessen und ich hatte ihn kein einziges Mal besucht. Man hatte ihn wegen Raubüberfall verknackt. Selby meinte, es muss ganz schön heftig gewesen sein, wenn er dafür drei Jahre ohne Bewährung gekriegt hat.
    »Gib her.« Selby nahm mir das Fernglas weg, denn mein Dad marschierte los.
    Wir verfolgten ihn, kletterten auf Dächer und rutschten an Mauern runter. Selby entdeckte eine Feuerleiter, über die man auf die Straße kam. Wir versteckten uns hinter geparkten Autos, Bäumen und Müllcontainern. Es war ziemlich aufregend. Wir hielten immer genug Abstand.
    Dad überquerte eine Straße und blieb an einer Bushaltestelle stehen. Er stellte seine Tasche ab und beobachtete die kreischenden Möwen über seinem Kopf. Wir verdrückten uns hinter einen Mazda auf der anderen Straßenseite.
    »Er sieht aus, als ob er bekifft ist«, raunte ich Selby zu.
    »Ist er wahrscheinlich auch.«
    »Glaubst du, er will zu Oma?«
    Selby zuckte die Achseln.
    Dann kam der Bus. Außer Dad wartete niemand an der Haltestelle, aber beim Einsteigen drehte er sich noch mal um und schaute in unsere Richtung. Ich konnte mich vor |69| lauter Schreck nicht rühren. Ich dachte bloß, dass wir beide bestimmt ein komischer Anblick waren, zwei schmale Gesichter, die über eine Motorhaube linsen. Keine Ahnung, was ich damals erwartet habe. Bestimmt kein rührseliges Familientreffen. Bestimmt nicht, dass Dad die Tasche fallen lässt, mit dem Jubelruf »Meine Söhne!« zu uns rüberrennt und uns irgendwo ein üppiges Frühstück spendiert.
    Dad hat uns gesehen, das weiß ich. Sein Gesichtsausdruck hat sich verändert, wie, kann ich leider nicht beschreiben. Er sah kurz zu uns rüber, dann schüttelte er sich und stieg in den Bus. Mir blieb der Mund offen stehen.
    Als der Bus vorbeifuhr, schaute er uns durchs Fenster an und wandte sich dann ab. Dann war der Bus weg.
    »Scheißkerl«, sagte Selby.
    Mein Dad ist nicht zu Oma gefahren.

    Der Mann in der Hängematte, mein Vater, richtet sich auf.
    »Ach, du bist’s«, sagt er mit seiner heiseren Brummstimme.
    Ich nicke.
    »Was willst du?«
    Höflichkeit war noch nie seine Stärke. Als Selby und ich ihn irgendwann hier entdeckt haben, wollte er uns wegjagen.
    »Haste ’ne Kippe?«, fragt er.
    Ich gebe ihm zwei. Wenigstens hat er ein eigenes Feuerzeug. In letzter Zeit schnorrt echt jeder Zigaretten von mir.
    |70| Mein Dad lebt mitten im Hochmoor, in einem Tal voller Bäume. Jedenfalls manchmal. Im Winter hängt er meistens in den städtischen Wohnheimen rum. Weil bald Frühling ist, habe ich mir gedacht, dass ich ihn hier antreffe. Er hat sich aus Brettern und alten Planen eine Art Hütte mit einem Öfchen drin gebaut. Davor sind die Feuerstelle und die Hängematte. In einer ollen Mülltonne sammelt er Regenwasser, unter einem Ginsterbusch bewahrt er einen Kessel, Töpfe und Pfannen auf. Überall liegen Verpackungen und Plastikfetzen. Im Baum hängt ein zerschlissenes Laken, als hätte Dad dort etwas bauen wollen, es dann aber doch bleiben lassen. Zigarettenkippen und vermoderte Klamotten sind halb in die Erde reingetreten. Er hat einen richtigen Saustall angerichtet. Leere Milchtüten liegen herum, dazwischen halb verbuddelte Bretter und irgendwelcher Metallschrott. Das Einzige,

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