Beast
Glotze steht ein riesiges Aquarium. |199| Es ist mit einem schmuddeligen weißen Laken zugedeckt.
»Du musst dafür sorgen, dass er es warm hat«, sagt Dad, »sonst geht er ein.«
Im trüben Wasser dümpelt so was wie eine Eidechse. Meine Mum sieht aus, als müsste sie sich gleich übergeben.
»Für dich«, sagt Dad. »Alles Gute zum Geburtstag, Stephen.«
Mein Geburtstag ist drei Monate her.
Ich schildere Eric, wie schnell mein Geburtstagsgeschenk gewachsen ist, wie es erst im Bad landete und wie ich es schließlich in Dads Garage geschmuggelt habe. Ich schildere ihm, wie ich es mit gefrorenen Mäusen aus der Zoohandlung gefüttert und mit einem Thermometer die Wassertemperatur gemessen habe. Meiner Familie habe ich erzählt, dass es eingegangen ist und dass ich es beerdigt habe. Alle haben mir geglaubt. Damals war allerhand los und meine Mutter hätte es nicht mal mitbekommen, wenn ich in meinem Zimmer einen Säbelzahntiger gehalten hätte. Ehrlich. Irgendwann ist sie durchgedreht und schließlich sind wir alle zu Oma gezogen. Mein Dad war an allem schuld. Wenn er ab und zu heimgekommen ist, war er erst mal so nett wie nur was (hat mir Krokodile geschenkt, uns in die Kneipe ausgeführt, Mum von unterwegs Fritten mitgebracht), aber nach ein paar Tagen hat er sich jedes Mal volllaufen lassen und dann sind wir ihm aus dem Weg gegangen, damit er uns nicht verprügelt.
Mum hat immer alles abgekriegt.
|200| Damals hat sich Dad vor allem über Victor aufgeregt. Der wohnte gegenüber, und wenn Dad im Bau war, kam er manchmal rüber und hat Steckdosen repariert und kaputte Sicherungen ersetzt. Lauter Sachen, die Selby und ich genauso hätten erledigen können, wenn wir den Arsch hochgekriegt hätten. Victor war bei der Stadtverwaltung angestellt. Er war in Ordnung. Ich habe mich nicht groß um ihn gekümmert. Aber als Dad damals Eine-Kleinigkeit-zum-Geburtstag anschleppte, schneite Victor kurz darauf mit einem Klosauger rein, weil in der Küche der Abfluss verstopft war. So wie Dad sich aufführte, hätte man denken können, Victor wäre mit einem Verlobungsring aufgekreuzt. Na ja, lassen wir das. Jedenfalls rasiert sich Mum seither den Kopf.
Ich beobachte Eric. Kennst du das, wenn man jemandem was erzählt, und es stimmt auch, aber es klingt total erfunden? Diesmal ist es nicht so. Je ausführlicher ich das Ganze schildere, desto glaubwürdiger klingt es. Ich zeige Eric die Narbe an meinem Arm. Ich erzähle, wie ich in der Fleischfabrik Hühner geklaut habe. Trotzdem hat er Mühe, die Geschichte zu schlucken.
Als ich ihm schildere, wie das Vieh ausgebrochen ist, zieht er die Augenbrauen hoch, aber er nickt, als ich ihn daran erinnere, wie ich ihn überredet habe, den Frettchenkäfig so und nicht anders zu bauen. Ich erzähle von letzter Nacht.
Als ich Carol erwähne, unterbricht er mich.
»Moment mal. Sie hat es wirklich gesehen?«
Ich nicke und erzähle weiter. Aber ich erwähne nicht, dass ich ohne Dad abgehauen bin.
|201| Das Feuer in der Esse ist ausgegangen und Eric hat das Telefon ausgestellt. Hund liegt auf der Schwelle und kaut auf einem Stück Leder herum.
»Deine Geschichte lässt ein paar Fragen offen«, meint Eric. »Erstens, warum hat das Krokodil bis jetzt noch niemanden angefallen, zweitens, warum hat es die Kälte noch nicht umgebracht?«
Mir fällt die Kinnlade runter. Vielleicht ist das die Lösung! Vielleicht ist der See zu kalt und es geht ihm nicht gut. Darum hat er uns letzte Nacht nicht erwischt. Er stirbt. Wenn ich gar nichts unternehme, verendet er vielleicht von allein. Dann findet irgendwer irgendwann einen Krokodilschädel am See und wundert sich, wie der wohl dorthin gekommen ist.
»Krokodile brauchen viel Sonne«, fährt Eric fort. »Ich glaube nicht, dass es einen englischen Winter übersteht.«
Als er kleiner war, habe ich dafür gesorgt, dass er es warm hat, aber ich bin nie drauf gekommen, dass das Pumpenbecken zu kalt für ihn sein könnte.
»Irgendwie ist er bis jetzt durchgekommen«, sage ich.
Eric sieht skeptisch aus, aber es hat ihn gepackt.
»Und Carol hat es wirklich gesehen?«
»Kannst sie ja anrufen und fragen.«
»Und wieso gehst du nicht einfach zur Polizei?«
Ich sehe ihn an und verziehe das Gesicht.
»Geht nicht. Womöglich hat er schon jemanden gefressen.«
|202| Einundzwanzig
Ich könnte ja auch Eintrittskarten verkaufen. Einen Minizoo aufmachen. Schon komisch, wenn man bedenkt, dass ich noch vor ein paar Wochen der Einzige war, der über mein
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