Beastly (German Edition)
finden. Und sie fand mich ohnehin schon seltsam genug.
Deshalb schaltete ich den Fernseher aus. Im Raum war es jetzt stockdunkel, und ich nahm sie auf den Arm, um sie in ihr Zimmer zu tragen.
Als ich halb die Treppe hoch war, wachte sie auf. »Was zum…?«
»Du bist eingeschlafen. Ich wollte dich in dein Zimmer tragen. Keine Sorge. Ich tue dir nichts. Das verspreche ich. Du kannst mir vertrauen. Und ich werde dich nicht fallenlassen.« Sie wog fast nichts in meinen Armen. Die Bestie war sehr stark.
»Ich kann laufen«, sagte sie.
»Okay, wenn du möchtest. Aber bist du nicht müde?«
»Doch, ein bisschen.«
»Du kannst mir vertrauen.«
»Ich weiß. Ich dachte mir, wenn du mir etwas antun wolltest, hättest du es bestimmt schon längst getan.«
»Ich will dir nichts antun«, sagte ich und schauderte bei dem Gedanken, dass sie das von mir gedacht hatte. »Ich kann dir nicht erklären, weshalb ich möchte, dass du hier bist. Aber bestimmt nicht aus diesem Grund.«
»Verstehe.« Sie lehnte sich in meine Arme zurück, an meine Brust. Ich trug sie bis oben an die Treppe und versuchte, den Türknauf zu drehen. Sie griff danach. Aus der Dunkelheit drang ihre Stimme zu mir. »Mich hat noch nie jemand getragen, zumindest kann ich mich nicht daran erinnern.«
Ich verstärkte meinen Griff ein wenig. »Ich bin sehr stark«, sagte ich.
Danach sagte sie nichts mehr. Sie war wieder eingeschlafen. Sie vertraute mir. Ich stampfte weiter durch die Dunkelheit in ihr Schlafzimmer. Dabei überlegte ich, dass es für Will immer so sein musste – man musste vorsichtig sein und darauf hoffen, auf kein Hindernis zu stoßen. Als ich ihr Bett erreichte, ließ ich sie daraufsinken und zog die weiche Daunendecke über sie. Ich wollte sie dort in der Dunkelheit küssen. Es war schon so lange her, dass ich jemanden berührt hatte, wirklich berührt hatte. Aber es wäre falsch, daraus Nutzen zu ziehen, dass sie schlief. Außerdem würde sie es mir nie verzeihen, wenn sie dabei aufwachen würde.
Schließlich sagte ich: »Gute Nacht, Lindy«, und wandte mich zum Gehen.
»Adrian?« Als ich an der Tür war, hörte ich ihre Stimme. »Gute Nacht.«
»Gute Nacht, Lindy. Danke, dass du mit mir wach geblieben bist. Das war schön.«
»Schön.« Ich hörte, wie sie sich auf dem Bett rührte, sich vielleicht umdrehte. »Weißt du, in der Dunkelheit klingt deine Stimme so vertraut.«
2
Es wurde kälter und nasser, und mit der Zeit konnte ich mit Lindy reden, ohne mir über jedes Wort Gedanken zu machen. Eines Tages fragte Lindy nach einer unserer Unterrichtsstunden: »Was ist eigentlich im vierten Stock?«
»Wie?« Ich hatte gehört, was sie gesagt hatte, aber ich wollte Zeit gewinnen, um mir eine Antwort zu überlegen. Seit ihrer Ankunft war ich nicht mehr im vierten Stock gewesen. Für mich bedeutete der vierte Stock Hoffnungslosigkeit; dort hatte ich am Fenster gesessen, den Glöckner gelesen und mich so einsam wie Quasimodo gefühlt. Ich wollte nicht hinaufgehen.
»Die vierte Etage«, wiederholte Lindy. »Du bist im Erdgeschoss, Küche und Wohnzimmer sind im ersten, ich im zweiten, und Will und Magda sind im dritten Stock. Aber als ich herkam, habe ich vier Fensterreihen gesehen.«
Jetzt war ich bereit. »Ach nichts. Alte Kisten und Kram.«
»Wow, das klingt ja interessant. Können wir mal schauen?« Lindy ging auf die Treppe zu.
»Es sind nur Kisten. Was ist daran so interessant? Man muss nur niesen.«
»Weißt du, was in den Kisten ist?« Als ich den Kopf schüttelte, sagte sie: »Genau das ist das Interessante daran. Darin könnten wahre Schätze begraben sein.«
»In Brooklyn?«
»Okay, vielleicht kein echter Schatz, aber andere Schätze – alte Briefe und Bilder.«
»Du meinst Ramsch.«
»Du brauchst ja nicht mitzukommen. Ich kann auch alleine nachschauen, es sind ja nicht deine Sachen.«
Aber ich ging mit. Obwohl mir der Gedanke an den vierten Stock Furcht einjagte, die mir wie vergammeltes Fleisch im Magen lag, begleitete ich sie, weil ich Zeit mit ihr verbringen wollte.
»Oh, schau mal. Da steht ein Sofa am Fenster.«
»Ja, es ist echt cool, hier zu sitzen und zu beobachten, wie die Leute vorübergehen. Ich meine, so muss es wohl für die gewesen sein, die hier gewohnt haben – wer immer das war.«
Sie kletterte auf den Platz am Fenster, meinen Platz am Fenster. Ich fühlte, wie mir das einen Stich versetzte. Sie sehnte sich bestimmt danach, rauszugehen. »Oh, du hast recht. Man kann von hier den
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