Beautiful Americans - 01 - Paris wir kommen
»Schau mal!« Aber Zack ist schon außer Hörweite. Da liegt ein Päckchen in meinem Postfach! Das ist das Tollste, was einem Schüler aus dem »Programme Americaine« zu Beginn eines Schultages überhaupt passieren kann. Ein Schüler, der ein Päckchen bekommen hat, steht den ganzen Tag lang im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, und alle sind neugierig, welche amerikanischen Süßigkeiten drin sind und ob derjenige etwas davon abgibt. Katie aus Ohio bekommt von ihrer Mutter immer Ingwerkekse, die aber schon am Ende der ersten Unterrichtsstunde aufgegessen sind. Georges Mom hat ihm die Bourne- Trilogie geschickt, was dazu geführt hat, dass alle anderen sofort E-Mails nach Hause geschrieben haben, mit der Bitte, ihnen ihre beliebtesten Filme auf DVD zu schicken. Mary bestellt sich bei amazon.fr immer Bücher auf Englisch. Nachdem sie das Päckchen in Empfang genommen hat, liest sie den restlichen Tag meistens heimlich eine britische Ausgabe von Das Leben ist anderswo von Milan Kundera oder Hundert Jahre Einsamkeit von Gabriel Garcia Marquez.
Ich persönlich habe noch nie ein Päckchen bekommen und ich bin fest entschlossen, das bis zuletzt auszukosten! Ich ziehe Jay vom Sofa weg. »Jay!«, juchze ich. »Du musst mir helfen, das Päckchen aufzumachen, das ich von meiner Mom aus New York bekommen habe!«
Mehrere Mitschüler umringen uns, als Jay sein Schweizer Taschenmesser herauszieht und sich abmüht, die dicke Schicht Klebeband durchzuschneiden. Sie brennen sicher alle darauf zu erfahren, was meine Mom mir schickt. Ich meine, meine Mom ist ja quasi ein Star. CAB arbeitet für die Luxe! Und ich bin die einzige New Yorkerin im Programm. Mein Päckchen wird der absolute Wahnsinn!
»Hoffentlich ist es Schokolade von Jacques Torres«, sagt Sara-Louise aufgeregt. »Mein Daddy hat mir neulich, als er kurz in New York war, welche besorgt. In die schokoüberzogenen Macadamianüsse könnte ich mich echt reinsetzen!«
»Kommt es von Barneys?«, fragt ein anderes Mädchen, Elena aus Chicago, die zu viel Gossip Girl liest, aufgeregt.
Jay hat das Päckchen erfolgreich geöffnet. »Danke!«, sage ich atemlos. Ich greife in den Karton hinein und ertaste ... ein Stofftier. Ich nehme es heraus und zeige es herum.
»Meine Mom weiß, dass ich Seehundjunge liebe«, sprudelt es aus mir heraus, obwohl ich bis zum heutigen Tage noch niemals etwas Derartiges geäußert habe. »Hier ist noch ein Brief.«
Das ist es, denke ich. Meine Mom hat einen Scheck in den Brief eingelegt. In dem Brief steht, dass alles vergeben und vergessen ist, und sie versteht, dass man in Paris natürlich viel mehr zum Leben braucht als in New York. Und dass sie mir nicht nur den Scheck schickt, damit ich ein bisschen Bargeld habe, bis sie selbst herkommt, sondern dass auch die Kreditkarte nicht mehr gesperrt ist.
Ich öffne Umschlag und Brief ganz vorsichtig, um den Scheck nicht zu zerreißen. Französische Banken stellen sich in dieser Hinsicht manchmal ziemlich pingelig an. Ich möchte keinen Ärger, wenn ich ihn in Bargeld Umtausche.
Doch da ist kein Scheck. Es ist nur ein Brief auf dem normalen Briefpapier mit ihrem Monogramm, das meine Mom benutzt, solange ich denken kann. CAB.
Meine liebste Alex,
Du wirst Dich so freuen! Ich habe eine Möglichkeit aufgetan, wie Du Deine astronomischen Schulden begleichen kannst. Meine gute Freundin Margerite - Du erinnerst dich, damals in Lyon? - hat eine Freundin aus Schulzeiten, die genau wie Du im 15. Arrondissement wohnt. Madame Sanxay - 1555 234 23. Ruf sie gleich an. Der Seehund ist für ihre süßen Kleinen! Liebe Grüße CAB
Obwohl ich alles nur noch verschwommen sehe und kaum verstehe, was ich da gerade gelesen habe, lächle ich alle um mich herum an. »Meine Mom ist nicht der Ingwerkeks-Typ«, sage ich. Dann mache ich mich, den Seehund in den Armen, auf die Suche nach Zack. Als ich ihn finde, zeige ich ihm nur wortlos den Brief und heule los.
Zack schiebt mich eilig in den Gang hinaus.
»Hey, hey«, tröstet er mich. »Worum geht's denn? Ich verstehe nicht ganz. Wie meint sie das?«
»Aber schau dir doch nur an, was sie geschrieben hat!« Ich deute auf Liebe Grüße, CAB. »Sie nennt sich nicht mal Mom! Sie schreibt nicht mal, dass sie mich lieb hat oder dass ich ihr fehle!«
Im Gang stößt Olivia zu uns. »Was ist denn los? Alex, warum weinst du?«
Ich wische mir über die Augen. »Ach, nur so.«
»Du musst es mir nicht sagen«, entgegnet sie. »Aber ich muss euch etwas erzählen.«
Als Olivia uns
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