Beautiful Americans - 01 - Paris wir kommen
rustikalen Gummistiefeln und steifen, gestärkten Jeans gekleidet, nehmen mich die Marquets am nächsten Morgen mit auf eine stramme Wanderung um ihr Grundstück herum. Ich muss praktisch neben ihnen herjoggen, um mit ihnen mitzuhalten, und denke dabei dauernd daran, was ich sie fragen könnte, um sie besser kennenzulernen.
Das Haus selbst ist aus Backstein erbaut, der heimelig rosarot ist, und es wird von zwei kegelförmigen Türmen zu beiden Seiten der rückwärtigen Ecken flankiert. Während in nächster Nähe des Gebäudes noch alles wunderbar grün ist, wird die Landschaft immer karger, je weiter man sich vom Chateau entfernt. Alle Außentüren sind überdimensional groß und majestätisch, wie es sich für Könige und Königinnen mitsamt Gefolge, Fahnen und Flaggen gehört. Kieswege durchziehen die sanften Hügel kilometerweit in jede Richtung und führen zu Scheunen, Feldern und Weiden, auf denen die Schafe und Pferde der Marquets grasen.
Mein eigenes lückenhaftes Wissen über die französische Geschichte basiert ausschließlich auf den alten Porträts, die ich in den wenigen Kunstbüchern in der Bücherei meiner alten Schule in Vermont gesehen habe. Dieses Haus ähnelt den Häusern auf diesen Gemälden. Es muss mindestens dreihundert Jahre alt sein.
»Fünfhundert sogar, um genau zu sein«, sagt Mme. Mar- quet schnaubend. »Wenn man mal die Anbauten, die unsere Familie über die Jahrhunderte vorgenommen hat, außen vorlässt.«
Ich versuche, aufrichtig beeindruckt auszusehen. Aber sie reagiert gar nicht darauf, sondern bewundert weiter ihr eigenes Haus.
Der Vordereingang des Chateaus liegt mehrere Stufen erhöht, ungefähr so hoch wie ein Pferderücken.
»Damit man einfach auf sein Pferd steigen konnte, ohne jemals Kontakt zum Boden zu haben«, erklärt M. Marquet. »Die Vorfahren haben sich nur höchst ungern schmutzig gemacht.«
Ich kichere. Im Gegensatz zu ihrem etwas heruntergekommenen, verstaubten Haus sind die Stiefel, Jeans und Reitjacken der Marquets fleckenlos sauber. Ich dagegen habe es während unseres anstrengenden Marschs geschafft, ganz durchnässt und verdreckt zu sein.
M. Marquet fuhrt mich auf die Weide, eine grüne Wiese, auf der hier und da Rappen stehen. Langsam wird es kühler, selbst tagsüber, wenn die Sonne noch hoch am Himmel steht. Ich bin froh, dass ich den alten Schlabberpulli meines Dads mitgebracht habe, auch wenn Mme. Marquet mich deswegen vorhin schräg angesehen hat.
»Reitest du gerne?«, fragt mich M. Marquet.
»Klar«, sage ich. »Ich meine, ich hab's zwar noch nicht ausprobiert, aber ich würde es gern tun.« Das stimmt nicht ganz. Daves Eltern haben ein altes Pony, und als ich klein war, bin ich ohne Sattel darauf am Bach entlanggeritten, während meine Schwester und Dave hinter einem Baum geknutscht haben. Irgendwie denke ich nicht, dass die Marquets das unter Reiten verstehen.
Mme. Marquet schaut auf meine Converse-Turnschuhe. »Aber in denen kannst du unmöglich reiten. Die haben zu weiche Sohlen. Das Pferd würde deine Befehle nicht verstehen.«
»Pas de Probleme«, sagt M. Marquet und gibt Charles einen Wink, dass dieser die Pferde in den Stall bringen und satteln soll. »Frag Marie nach einem Paar alter Stiefel. Bei der Garderobe stehen mehrere rum. Da sind sicher auch welche in deiner Größe dabei.«
Mme. Marquet seufzt. »Depeche-toi, Penelope.«
»Ich beeile mich«, verspreche ich und renne hügelabwärts auf das Haus zu.
Ich stoße die Hintertür auf und sehe mich suchend nach Marie um. Mir fallt ein, dass sie heute Morgen, als sie mir das Frühstück serviert hat, irgendwas davon gesagt hat, dass sie zum Gottesdienst gehen wolle. Die Garderobe direkt neben der Küche ist aber auch ohne sie nicht schwer zu finden, genau wie der Schrank, in dem die gesamte Außenbekleidung aufbewahrt wird. Es macht nicht den Anschein, als würden die Sachen darin allzu oft getragen. Spinnweben überziehen die fünf oder sechs Paar Schuhe. Ich knie mich auf den Boden und schaue hektisch die Stiefel durch, damit ich schnell ein Paar finde, das passt. Im Geist sehe ich Mme. Marquet vor mir: die eine Hand in die Hüfte gestemmt, mit der anderen klopft sie auf ihre goldene Armbanduhr.
Aus der Ferne höre ich ein Geräusch, das so klingt, als würden die Fensterläden knallen.
»Marie?« Ich richte mich auf. Aber es kommt keine Antwort.
So lange war ich doch gar nicht weg. Ist es vielleicht die ungeduldige Mme. Marquet, die endlich unseren Ausritt starten will?
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