Beautiful Americans - 01 - Paris wir kommen
anders. Du wirst es ja kennen- und sicher auch lieben lernen.«
Am Freitagnachmittag bin ich innerlich unruhig, als ich im TGV-Hochgeschwindigkeitszug sitze, der durch die französische Stadt Bordeaux an der Südküste braust. Am Bahnhof von Bordeaux muss ich in einen Zug nach Perigueux umsteigen, wo mich dann M. Marquet abholen und zum Chateau der Marquets in der Dordogne fahren wird.
Allein schon die französischen Lautsprecheransagen im Zug lassen mich vor Aufregung erschaudern. Trankreich habe ich schon immer geliebt - die Sprache, die Kultur, das künstlerische Erbe. Annabel hat Frankreich ebenfalls geliebt, aber aus anderen Gründen: Ihr gefiel die Romantik, der Gedanke, dass Paris die Stadt sei, in der man sich selbst finde. Aber Dave hat ihr immer gesagt, dass sie all die Romantik, die sie brauchten, doch schon direkt in Vermont hätten.
Annabel und ich hatten immer eine riesengroße Weltkarte an der Wand im Kinderzimmer hängen, das wir beide uns teilten. Manchmal haben wir nur so aus Spaß die Augen zugemacht und uns um die eigene Achse gedreht, dann mit dem Finger auf eine Stelle auf der Landkarte gezeigt und so getan, als wäre das der Ort, an den das Schicksal uns eines Tages hinverschlagen würde. Wir hatten immer versucht, Frankreich zu erwischen, waren aber normalerweise irgendwo vor der spanischen Küste im Atlantik rausgekommen, wenn wir die Augen wieder aufmachten. Wir kamen auch in Afrika, England, Russland oder Israel raus ... aber nie in Frankreich.
An dem Abend, an dem Dave Annabel einen Heiratsantrag gemacht hatte, kam sie ganz beschwingt und aufgekratzt nach Hause. Sie drehte sich mit geschlossenen Augen im Kreis, während ich sie, bereits eingemummelt, von meinem Bett aus beobachtete.
»Aha!«, rief sie, als sie mit ihrem Finger auf eine Stelle zeigte. »Ich hab's!« Bei der Erinnerung daran muss ich lächeln.
Bis jetzt war das kurze Treffen mit den Marquets, als sie gerade zur Benefizgala aufbrechen wollten, das einzige Mal, dass ich sie gesehen habe. Am Tag danach sind sie schon in die Dordogne gefahren, während ich noch in der Schule war. Tagsüber ist Sonia da, aber nachts bin ich ganz allein in dem palastartigen Apartment. Sonia scheint sich nicht allzu sehr für Haushaltsarbeiten zu interessieren. Meistens telefoniert sie mit ihrem Handy oder liest in der Küche Boulevardzeitungen und Klatschzeitschriften.
Einmal ist Olivia auf einen Sprung vorbeigekommen, um nachzusehen, ob es mir auch gut geht, aber sie musste gleich wieder weiter, um mit Sara-Louise und Mary zu lernen. Olivia ist wie besessen vom Final Comp, falls das noch keinem aufgefallen sein sollte.
»Ich habe herausgefunden, dass dein Gastvater Magistrat ist«, erzählte mir Olivia, bevor sie aufbrach.
»Ach echt?« Ich hatte mich schon gewundert, worum es sich bei M. Marquets scheinbar so vernachlässigbarem Job handelt. Nur dass ein Magistrat gar nicht so vemachlässigbar klingt. »Was ist ein Magistrat denn genau?«
»So was Ähnliches wie ein Richter, aber gleichzeitig ist es auch ein politisches Amt. Mme. Rouille hat mir erzählt, dass dein Gastvater erst kürzlich ins Amtsgericht in der Dordogne gewählt wurde, was auch erklärt, warum sie so lange nicht hier waren. Aber man munkelt wohl«, flüsterte Olivia in einem für sie ganz untypisch klatschhaften Ton, »dass er gern für ein Amt auf Staatsebene kandidieren würde.«
»Ooooh, Olivia, nein, wie skandalös!«, neckte ich sie.
Sie lachte. »Na ja, das hat mir Mme. Rouille gesagt! Wahrscheinlich ist das alles gar keine so große Sache. Trotzdem klingt es so, als würdest du hier bei der High Society leben.«
Die letzten Tage, in denen ich hier gewohnt habe, erinnerten ein bisschen an Eloise in Paris : samtene Louis-XIV-Stühle, funkelnde Lüster, zwei Meter hohe Spiegel mit vergoldeten Rahmen. Bisher kannte ich keinen - außer vielleicht Marie Antoinette -, der jemals so gelebt hat - und ganz bestimmt habe ich nicht erwartet, selbst einmal in so einem Luxus zu schwelgen. Und ganz sicher nicht nach allem, was ich getan habe.
Gestern Abend habe ich mir auf dem Heimweg von der Schule ein Baguette und etwas Gruyere gekauft und, nachdem Sonia gegangen war, ein Sandwich gemacht und mitten auf dem eleganten Wohnzimmerboden gegessen, mit Blick auf die verschnörkelten Terrassentüren. Die Sonne ging unter und ich habe die schweren Vorhänge aufgezogen, damit ich beobachten konnte, wie sich die Abenddämmerung auf den Place de Ternes legte. Der belebte
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