Beautiful Americans - 01 - Paris wir kommen
Ich gehe durch die Küche zurück in den Gang, der diese alten Haushaltsräume - die Küche, den Wäscheraum, die Treppe zum Weinkeller und die Garderobe - mit dem Rest des Chateaus verbindet.
Sogar am helllichten Tag ist das Chateau düster und muffig, weil kein Sonnenlicht hineindringt. In der Dunkelheit fühle ich mich unsicher und ängstlich. Es ist so finster, dass ich wünschte, ich hätte eine Taschenlampe. Natürlich ist keiner im Gang. Aber dieses Kribbeln im Nacken, dieses unheilvolle Gefühl ist das Gleiche, das mich überkommen hat, als ich in der Nähe der kanadischen Grenze im Sommer an der Tankstelle den Kaffee für meine Eltern organisiert habe. An dem Abend musste ich nicht erst rausgehen, um zu wissen, dass etwas nicht stimmte. Ich konnte es spüren.
Ich schleiche mich leise ins Wohnzimmer. Genau wie im Pariser Apartment sind die Möbel im Chateau alt und schon leicht schäbig. Die gelben Vorhänge im Wohnzimmer verfärben sich an den Rändern und Kanten bereits bräunlich, und das alte Klavier in der Ecke ist trotz Maries Anwesenheit mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Während die Marquets selbst im absoluten Prunk leben, lassen sie ihre Wohnorte ein klein wenig verwahrlosen, sodass sie langsam aber sicher verfallen. In dem Kronleuchter, der über den im Halbkreis aufgestellten kleinen Sesseln hängt, sind mehrere Glühbirnen kaputt. Der majestätische Kamin ist rußbedeckt.
Das Gefühl, beobachtet zu werden, ist so stark, dass ich kaum atmen kann. Ich ziehe die gelben Vorhänge erst einen Zentimeter zurück, dann mehr. Als ich ein Gesicht vor dem Fenster sehe, stoße ich einen markerschütternden Schrei aus. Sofort weicht das Gesicht zurück. Mehrere Lichter blitzen direkt hintereinander auf, und dann ertönt auf Französisch der Ruf: Lauf.
Ich merke erst nach einer Weile, dass ich meine Augen ganz fest zugekniffen habe. Ich öffne sie und schaue aus dem Fenster, auf die Kieszufahrt, die zur Hauptstraße zurück nach Perigueux führt. Zwei Männer stürmen auf die Hecktür eines Peugeot zu, während die Kameras und Blitzlichter, die ihnen um den Hals hängen, auf- und abhüpfen.
Von der Weide her kommt der Verwalter Charles angeritten. Er schreit die Männer mit den Fotokameras barsch an. In einer Hand hält er eine Pferdepeitsche hoch über dem Kopf, als wolle er sie schlagen, sollten sie es jemals wagen, zum Chateau zurückzukehren.
»Wie ich sehe, hast du schon unsere Freunde kennengelernt«, sagt plötzlich hinter mir leise eine tiefe Stimme.
»M. Marquet!« Ich springe vom Fenster zurück und bewege dabei den Vorhang so ruckartig, dass ein Staubregen auf mich niedergeht. »Sie haben mich total erschreckt!«
»Bonjour, Penelope«, sagt M. Marquet müde. »Adele! Sie ist im Wohnzimmer!«, ruft er hinter sich.
»Hast du ihnen irgendwas gesagt?«, fragt mich Mme. Marquet scharf. »Haben sie dich irgendwas gefragt?«
»Nein!«, antworte ich ihr. »Es tut mir total leid, dass ich so lang gebraucht habe. Ich hatte plötzlich das Gefühl, als würde mich jemand beobachten, und deshalb bin ich hergekommen ... Wer waren diese Männer?«
»Du kannst hier doch nicht einfach herumschleichen«, sagt Mme. Marquet streng. »Du musst vorsichtiger sein! Haben sie diesen Raum fotografiert?«
Ich zucke mit den Schultern. »Ich habe nur mitbekommen, dass sie mir mit der Kamera direkt ins Gesicht geblitzt haben.«
»Fotos von dir wären nicht schlimm«, sagt Mme. Marquet, fast wie zu sich selbst. »Aber dieser Raum - mit all den alten Dingen darin, dem ganzen alten Plunder -, das wäre eine Schande für den Namen Marquet.«
Ich verstehe das alles nicht. Mit einem Mal, noch bevor ich es unterdrücken kann, fange ich an zu weinen.
»Ach Penelope«, durchbricht M. Marquet die angespannte Atmosphäre und legt liebevoll den Arm um mich. »Ab mit dir. Marie, fahr mit Penelope in die Stadt, um dort zu Mittag zu essen. Penelope, um diese Jahreszeit ist Perigueux tres, tres belle. Eigentlich zu jeder Jahreszeit! Marie geht mit dir mit- tagessen, und dann reiten wir vielleicht morgen aus.«
»Aber diese Männer«, sage ich, noch immer verwirrt und eingeschüchtert, weil Mme. Marquet die Hände in die Hüften stemmt, als hätte ich totalen Mist gebaut. »Was haben sie fotografiert?«
Mme. Marquet seufzt. »Sie wollen nur Bilder vom Haus des neuen Magistrats. Seit M. Marquet im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht, gehört die Boulevardpresse zu unserem Leben. Aber was immer du tust, Penelope, du
Weitere Kostenlose Bücher