Beautiful Americans - 01 - Paris wir kommen
ist ein bisschen wie das letzte Bonbon vor dem Final Comp.«
Jay hat recht. Wenn wir zurückkommen, haben wir nur noch zwei Wochen, um für den Test zu lernen, das Louvre-Kunstprojekt fertigzustellen und dann während der Ferienpause getrennte Wege zu gehen.
»Ist echt total blöd, dass sie das hier verpasst«, stimme ich zu. Ich spüre ein klitzekleines bisschen Reue, als ich daran denke, dass Alex und ich PJ zu der Party gedrängt haben. Aber schließlich war es ja nicht so, als hätte sie es nicht selbst gewollt. Eigentlich sollte sie uns sogar dankbar sein. Seit dieser Party hat sie weit mehr Freunde als vorher.
Es ist so wohltuend, mal mit jemandem wie Jay zusammen zu sein, nachdem ich das ganze Halbjahr mit Alex' unberechenbaren Launen und Olivias besessenen Ängsten und Blockaden zu tun hatte. »Du solltest mal kommen und dann machen wir was zusammen«, bietet er mir auf einmal an und sieht mich mit einer offenen, freundlichen Miene an, die auf gar keinen Fall etwas anderes sein kann als ehrliches Interesse daran, mich zu sehen und mit mir Zeit zu verbringen.
Ich schaue zu Alex hinüber, die mit ihren gigantischen Kopfhörern eingeschlafen ist. Ihre Ausgabe von Paris Match liegt auf dem Tisch zwischen ihr und mir - ihr Französisch ist nicht gut genug, als dass sie eine ganze Ausgabe bewältigen könnte. Ich hebe die Illustrierte auf und versuche, ganz lässig auszusehen, während mir in Wirklichkeit schwindlig ist vor Freude über Jays Einladung.
»Klar«, antworte ich so cool, wie ich nur kann. »Klingt gut.«
Am Samstagmorgen weckt uns Mlle. Vailland früh auf und marschiert mit uns zum gechatteten Bus, um die Sehenswürdigkeit von Lyon abzufahren.
Die anderen Typen - das heißt die Heteros, also alle anderen außer mir und ganz, ganz vielleicht auch Jay - beklagen das Paradoxon, das Mlle. Vailland darstellt: Sie ist blond, hat einen ziemlichen Vorbau und kleidet sich so, als würde sie in einem Pigalle-Nachtklub arbeiten - und doch wirkt sie total unattraktiv und sogar, wie einige finden, abstoßend, durch ihre schrille, nasale Jammerstimme, mit der sie ihre Unterrichtsstunden abhält.
»Mein Schwanz schrumpelt immer sofort, sobald sie ihr Sprechorgan einschaltet«, bemerkt George gegenüber Drew, laut genug, dass es die gesamte hintere Hälfte im Tourbus mitbekommt. Alex verzieht das Gesicht.
Mlle. Vailland, die Georges abwertenden Kommentar nicht gehört hat, spricht vorne weiter. »Die Kathedrale St. Jean-Baptiste-de-Lyon ist der Sitz des Erzbischofs von Lyon«, erzählt sie ihren gelangweilten, undankbaren Zuhörern. »Sie ist ein wunderbares Beispiel für die französische Gotik ...«
Wir steigen aus dem Bus und machen die obligatorischen Fotos von der Kirche. Wieder muss ich an PJ denken. Sie würde sich den Bau jetzt wahrscheinlich Zentimeter für Zentimeter ansehen und eine absolut detailgenaue Zeichnung davon in ihrem Skizzenblock anfertigen, statt sie zu fotografieren. PJ hat von uns allen im »Programme Americaine« die größte künstlerische Begabung. Seit meinem Gespräch gestern mit Jay habe ich ein ganz schlechtes Gewissen wegen ihr und Mitleid. Bestimmt fühlt sie sich im Moment ziemlich allein und ausgeschlossen.
Als Mlle. Vailland mit der Besichtigung der Kathedrale fertig ist, dürfen wir noch eine Weile auf eigene Faust herumlaufen. Olivia, die ihren Fuß noch immer nicht richtig belasten kann, nachdem sie nach ihrem Unfall zu schnell wieder versucht hat zu tanzen, setzt sich auf eine Kirchenbank und betet lauter »Ave Marias«, als müsse sie für etwas echt Schwerwiegendes Buße tun.
Alex und ich verdrehen die Augen. Das war ja klar, dass Olivia katholisch ist - ihre ganzen Schuldgefühle und das Pflichtbewusstsein mussten ja von irgendwoher kommen.
Auf dem Gebiet kenne ich mich aus. All die Jahre in der Chrisfs-Message-Baptist-Kirche sind nicht spurlos an mir vorübergegangen.
Alex hat schon seit dem Beginn des Ausflugs nach Lyon ausgesprochen schlechte Laune. Als wir gestern Abend frierend draußen vor dem italienischen Lokal, in dem wir mit der ganzen Klasse gegessen haben, in der Kälte standen, weil sie rauchen wollte, habe ich sie auf den schwarzen Mantel angesprochen, den sie anhatte. »Was ist denn eigentlich mit dem roten Dior-Mantel passiert?«, fragte ich sie. Als Alex den Mantel damals entdeckt hatte, hatte sie so selig ausgesehen. Also, entweder war, als Alex ihn holen wollte, das letzte Stück verkauft, oder sie konnte die Probleme mit ihrer Kreditkarte
Weitere Kostenlose Bücher