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Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe

Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe

Titel: Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Silag
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anvertrauen können, dass ich unmöglich länger bei den Marquets wohnen kann?
    Aber wenn ich an Mme Marquet denke, mit ihren stahlblauen Augen, ihrem angespannten, schmalen Gesicht und ihrer langen Nase, die sie immer in die Luft streckte, als wäre ihr jeder Anblick zu eklig, weiß ich eines mit Gewissheit: Sie hätte niemals zugelassen, dass ich nach so einem Affront weiter in Paris bleibe. Für Mme Marquet bestand mein Wert darin, dass ich die Rolle der amerikanischen Schülerin gespielt habe, damit sie einen auf »tolle kleine Familie« machen konnten. Wenn ich sie nun diskreditierte oder jemandem von all den abgefahren Dingen erzählte, die sich im letzten Schulhalbjahr zugetragen haben, würde sie dafür sorgen, dass ich zurück nach Hause müsste und, bis ich achtzehn bin, in ein schreckliches Pflegeheim käme. Ich hätte so meine Schwester nie finden können.
    Es war also das Richtige. Ich wollte vor allem Annabel finden, damit wir wieder zusammen sein können. Das war es wert.
    Gedankenverloren trete ich aus der Kirche und frage mich unwillkürlich, wie es mit Annabel und mir eigentlich weitergehen soll - untergetaucht und ganz ohne Geld, wie wir hier im Moment leben.
    An der Ecke Rue d'Amiens und Rue Armand Carrel bin ich mit einem Mal orientierungslos. Liegt Annabels Apartment linker oder rechter Hand? Rouen ist zwar keine große Stadt, aber genau wie in Paris verlaufen die Straßen nicht schnurgerade, sondern in unvorhersehbaren Biegungen. Ich mache ein paar Schritte nach rechts, dann kehre ich zum Ausgangspunkt zurück und sehe mich nach irgendeiner Orientierungshilfe um, die mir den Weg nach Hause weisen könnte.
    Ganz plötzlich fällt mir ein, wie ich am besten ins Apartment zurückkomme, und ich wirble herum, um wieder die ursprüngliche Richtung einzuschlagen, in die ich anfangs gegangen war. Doch ich bleibe stehen, als ich merke, dass ein Auto hinter mir in der Straße angehalten hat, mit einem vage bekannten Gesicht hinter dem Lenkrad.
    Es ist der Typ mit der Baseball-Kappe - der aus dem Zug am ersten Weihnachtstag. Er hebt eine Hand vom Lenkrad und winkt mir mit einem vorsichtigen Lächeln zu.
    Vor Schreck, ihm so unvermutet wieder zu begegnen, haut es mich fast um. Gefühlsmäßig ist es eine Ewigkeit her, seit ich in dem Bummelzug nach Rouen saß, aber dieser Typ, der noch immer sein amerikanisch aussehendes Käppi trägt, scheint mich zu erkennen. Und er wirkt nicht mal sonderlich überrascht, mich hier anzutreffen.
    »Bonjour«, stoße ich automatisch hervor. Unter den Wollärmeln meines Pullis bekomme ich eine Gänsehaut.
    Sein Fenster ist zwar geschlossen, aber er registriert meine Begrüßung trotzdem.
    Auf einmal fühle ich mich unglaublich schutzlos und bedroht. Die Miene des Typs ist nicht mehr annähernd so freundlich wie an jenem Nachmittag im Zug. Damals blickte er mich mit seinem blassen, fröhlichen Gesicht offen, locker und nett an, aber heute sieht er in dem Schatten, der von den Straßenlaternen und den Kirchenkerzen in den bunten Kirchenfenstern der Église Saint-Madou herrührt, so aus, als wäre er zu allem fähig.
    Der Typ greift nach vorne, während das Auto noch immer nicht anfährt. Vielleicht lässt er einfach das Fenster runter, vielleicht greift er aber auch nach einem Messer oder nach einer Pistole. Ich warte gar nicht erst ab, bis ich es herausfinde, sondern drehe mich schnell zur Kirche um, lasse die Rue d'Amiens hinter mir und renne dann im Zickzack den ganzen Weg bis zu Annabels Apartment zurück.

19 • ALEX
    Süchtig nach einem Lächeln
    Eingemummelt in meinen Mantel und einen alten schwarzen Pashmina-Schal sitze ich auf dem Balkon in einem gepolsterten Liegestuhl in der Kälte und beobachte, wie die Sonne untergeht. Dabei rauche ich eine Zigarette nach der anderen. Als Jay herauskommt, drücke ich schnell meine Kippe aus. Ich habe den Eindruck, dass er es gar nicht mag, wenn man raucht.
    »Alles okay?«, fragt er mich in locker-lässigem, aber doch auch fürsorglichem Ton. Dabei sieht er mich nicht direkt an, wahrscheinlich, weil er nicht konfrontativ wirken will, denke ich. »Die letzte Nacht war ja echt ziemlich verrückt.«
    »Mir geht's gut«, sage ich heiter. »Wie geht es dir denn? Kann ich dir irgendwas bringen?«
    »Ich bin okay«, sagt Jay und verschränkt die Arme vor der Brust. Draußen ist es ziemlich kalt, obwohl wir so weit im Süden sind. Wegen des böigen Winds herrscht starker Seegang. »So gut es einem den Umständen entsprechend eben gehen

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