Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe
kann, denke ich. Das Hotel ist absolut hammermäßig, aber ich habe das Gefühl, dass ich es gar nicht richtig genießen kann, nicht böse gemeint. Bis wir PJ finden - bis sie mir eine E-Mail schickt, die mal irgendeinen verdammten Sinn ergibt -, werde ich hier nie richtig Spaß haben. Ziemlich armselig, hm?«
»Ach, Jay, das ist doch nicht armselig«, sage ich, erhebe mich aus meinem Liegestuhl und stelle mich zu ihm ans Geländer. »Sie bedeutet dir eben wirklich was. Das ist doch schön.«
»Nein, ich weiß, dass es armselig ist. Sie redet ja nicht mal mit mir, weißt du? Im Moment kennst du mich besser als sie.«
Ich werde rot. Also spürt auch Jay, dass unser Band wächst.
»So viel weiß ich aber gar nicht über dich. Ich weiß ja nicht mal, woher du kommst.«
»Ich bin von überall her«, entgegnet Jay. »Meine Eltern stammen aus Guatemala und die meisten denken, dass ich auch dort geboren bin. Aber in Wirklichkeit wurde ich in Chicago geboren. Dann sind wir nach Minneapolis gezogen, weil meine Eltern Arbeit in einer der dortigen Fleischverarbeitungsfabriken suchen wollten. Wir haben aber auch in Texas und in Fresno, Kalifornien, gelebt. Meine Eltern gehen dorthin, wo sie Geld verdienen können. Ich habe fünf kleinere Geschwister. Mann, wenn ich aufs College gehe, werden meine Eltern total erleichtert sein, dass sie ein Maul weniger zu stopfen haben!«
Sosehr ich auch mein Tartarbeefsteak liebe, ist so eine Fleischverarbeitungsfabrik sicher die Hölle. Mir ist ein bisschen unbehaglich zumute, welche Wendung das Gespräch genommen hat. Außerdem ist es mir auch peinlich, weil wir es mitten auf unserem Balkon in unserer - mitsamt der Unkosten - voll bezahlten Suite im Grand Palace Hotel führen. Aus dieser Höhe kann man die leuchtend weiße Reihe der Urlaubshotels in Cannes rings um die Bucht erkennen, einschließlich der Anlegestellen und Jachthäfen, die sich wie lange, glitzernde Finger von der Küste ins Meer hinaus erstrecken. Selbst im tiefsten Winter strahlt Cannes Glamour, Geld, Ruhm und Charme aus.
»Wohin willst du denn aufs College gehen?«, frage ich.
»Wo immer ich das beste Stipendium kriege.« Jay zuckt mit den Schultern. »Wahrscheinlich auf die Universität von Minnesota. Und du?«
Ich denke an den Final Comp und dass der Brief von Mme Cuchon voraussichtlich jegliche Chance, überhaupt aufs College gehen zu können, zunichte gemacht hat, ganz zu schweigen von dem, auf das ich vielleicht gern gegangen wäre.
»Ach, das College interessiert mich gar nicht so. Ich werde wahrscheinlich nach Paris zurückkehren und dann direkt anfangen zu arbeiten. Zum Beispiel für ein Modehaus oder eine Zeitschrift oder so.« Irgendwie ist auch diese Richtung des Gesprächs ein wahres Minenfeld. Jay muss ja denken, dass ich die verzogenste Göre der ganzen Welt bin!
Jay lacht, aber es ist kein unfreundliches Lachen. »Ja, wäre das nicht schön? Nach Paris zu kommen war in vielerlei Hinsicht das Beste, was ich je getan habe. Ich meine, klar gab's auch Dramen, aber Mann ...«
Ich blicke ihn an und lächle. »Ich weiß. Reisen ist das Tollste überhaupt.«
»Ich vermisse meine Familie und alles, aber die Welt zu sehen ... das ist einfach was anderes.«
»Vermisst du manchmal Guatemala?«
»Wie kann ich etwas vermissen, das ich nie kennengelernt habe?«
»Du warst nie in Guatemala?« Vor ein paar Jahren bin ich mal mit meiner Mom im Sommer am Atitlán-See gewesen. Es war wunderschön. Aber vielleicht erzähle ich ihm das besser nicht, wenn er noch nicht da war, ich aber schon.
»Als meine Eltern von dort weggegangen sind, herrschte gerade Bürgerkrieg. Sie waren heilfroh, dass sie überhaupt lebend rausgekommen sind. Deshalb muss ich unbedingt auf eine gute Uni und danach eine gute Stelle finden. Ich will dafür sorgen, dass sie nie wieder dorthin zurück müssen.«
Darauf erwidere ich nichts mehr. Aus irgendeinem Grund wurstle ich mich hier mehr schlecht als recht durch die Unterhaltung mit Jay. Mir ist vor allem wichtig, dass er merkt, wie sehr ich mich für ihn interessiere, und zwar wirklich für ihn, als Person. Nicht für sein gutes Aussehen oder sein Geld oder dass er so beliebt ist - so wie es bei mir mit George war. Ich mag Jay für alles, was er gerade aufgezählt hat: weil er verantwortungsbewusst, praktisch und freundlich ist. Weil er eine Vergangenheit hat. Weil er hart für das arbeitet, was er möchte.
Dabei schadet es allerdings nicht, dass er glänzende dunkle Haare und ein
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