Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe
zu entkommen?«
»Es war nur ein Vorwand, um ihr Adios zu sagen.«
»Jay Solares, was für ein schmutziger Exfreund du doch bist. Das hätte ich nicht von dir gedacht.«
»Wir haben alle unsere Leichen im Keller, Mann.«
»Verstehe.« Ich nippe wieder am Wein. »Wie geht es dir jetzt mit der Reise? Fühlst du dich gelöst oder ruhelos oder was?« Das möchte ich wirklich wissen.
»Ich fühle mich - ach, ich weiß auch nicht, was ich fühle! Ich kann irgendwie nicht glauben, was PJ mir für Mails schreibt. Ich habe sie einfach nicht für den Typ Mensch gehalten, der Psychospielchen spielt. Du?« Das Strahlen weicht aus Jays Gesicht. Er sieht nun wirklich ratlos aus.
Ähm, aber hallo! »Nein. Aber so gut kennt man kaum jemanden«, sage ich in missmutigem Ton. »Die Menschen sind so. Wenn es hart auf hart kommt, enttäuschen sie dich meistens.«
»Denkst du das auch von deinem Dad?«
Ich stelle mein Weinglas ab. »Was?«
»Der Mann in der Bar vor ein paar Tagen. Der, der uns den Champagner geschickt hat. Zack und ich haben gewusst, dass er dein Dad ist. Wer sonst? Aber du hast dich einfach nicht zu ihm bekannt. Du hast nicht mal zugegeben, dass er dir irgendwas bedeutet.«
Ich bleibe stumm, runzle nur die Stirn.
»Alex? Komm schon«, sagt Jay in leicht flehendem Ton. »Du kannst mir alles erzählen.«
Ich seufze.
»Eine Menge Menschen haben Versagerväter, verrückte Eltern, Probleme in der Familie. Warum denkst du, dass du es deinen Freunden nicht erzählen kannst? Nach allem, was wir in den letzten Wochen zusammen durchgemacht haben?«
»Ach echt?«, frage ich schließlich. Meine Stimme klingt schrill, obwohl ich versucht habe, sie unter Kontrolle zu halten. »Gehen auch eine Menge Väter mit dem Kindermädchen der Tochter außer Landes? Ziehen sie nach London und laden ihre Kinder nie ein, sie mal zu besuchen? Rufen sie sie nur zweimal im Jahr an? Da wissen ja die Journalisten der Financial Times mehr über meinen Dad als ich! Auch das Personal im Grand Palace Hotel weiß mehr über Tuan Nguyen als ich.«
Mir wird bewusst, dass ich mich mit beiden Händen am Tisch festkralle. Ich habe mich vorgebeugt und bin ganz dicht an Jays Gesicht, der mich mit festem Blick unerschütterlich ansieht.
»Nicht ich habe mich nicht zu ihm bekannt«, bringe ich erstickt heraus, »sondern er sich nicht zu mir.«
»Das ist nicht deine Schuld«, sagt er mit leiser Stimme. »Und das weißt du auch.«
Ich schließe die Augen. Ich bin wieder in dem rot-schwarzen Kleid. Ich trinke meinen Bellini und sehe, wie mein Vater mir vom Ende der Bar zuzwinkert. Ganz plötzlich fühle ich mich so unbeholfen, als trüge ich wieder meine Zahnspange und hätte ein Doppelkinn, wie damals mit zwölf. Mit Beinen wie aus Gummi gehe ich zu ihm rüber. Als ich näher komme, bemerkt er, wie ich wirklich bin: ungraziös, überfüttert, mit zu viel Schminke und nach Zigarettenrauch und Parfüm riechend.
»Du verstehst das einfach nicht«, flüstere ich.
Als ich die Augen öffne, schaut mich Jay noch immer an.
Mit den Fingerspitzen wischt er mir die Tränen von den Wangen. »Oh Mann, Alex, wenn du dich nur selbst sehen könntest.«
Ich lasse den Tisch los und schlage meine feuchten, kalten Hände vor mein nasses Gesicht.
»So war das doch nicht gemeint!«, ruft Jay und springt von seinem Stuhl auf. Er hockt sich neben mich und schließt mich in die Arme. Er riecht nach Rotwein, Kölnisch Wasser und der weichen Wolle seines schwarzen Pullis. »Ich meine, wenn du dich so sehen könntest, wie ich dich oder alle anderen vom Lycée sehen ... Du bist ein Star. Du bist so schön, witzig und glamourös ...«
»Wirklich?«, frage ich. Wie sehr habe ich mich danach gesehnt, genau diese Worte zu hören, aber als sie erst mal heraus sind, kann ich sie nicht glauben. »Ich meine, du denkst das wirklich?«
Jay legt Geld auf den Tisch und zieht mich hoch. »Lass uns gehen.«
Auf dem Weg zurück ins Hotel hält Jay mich eng an sich gedrückt. Es regnet jetzt und das Einzige, was ich denken kann, ist, dass mich nichts aus dem Durcheinander, in das ich mich selbst hineinmanövriert habe, retten kann. Es ist nicht nur diese verrückte Jay/PJ-Mischung. Es ist der Brief aus dem Lycée, der mein Schicksal besiegelt. Der Umschlag mit dem Bargeld, den ich nicht öffnen kann - schon allein bei dem Gedanken daran wird mir übel. Die Tatsache, dass meine Mutter mich nun schon seit beinahe zwei Wochen zu erreichen versucht und ich nicht weiß, wie ich ihr jemals
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