Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe
beengt und hat einen Linoleumboden, der mich an die Warteräume in der Kinder- und Jugendhilfe in San Diego erinnert. Dort muss meine Mutter manchmal hin, damit das Schulamt einen Teil von Brians spezieller Nachhilfe übernimmt. In der Ecke surrt ein alter Computerbildschirm. Auf einem Zettel über dem Computer steht, dass eine Viertelstunde Internet nur zwei Euro kostet. Ich krame eine schwere Zwei-Euro-Münze heraus und bitte den bärtigen Mann hinter der Theke, mir einen Internetzugang zu geben. Die Verbindung ist zwar langsam, aber Gott sei Dank funktioniert sie.
Ich durchsuche meine E-Mails nach einem Hinweis auf Fletcher, Penelope. Während des Winterhalbjahres haben wir uns ab und zu gemailt, wenn es um die Hilfe bei den Matheaufgaben ging oder darum, uns gegenseitig einen lustigen Witz zu erzählen oder uns auf eine coole Webseite aufmerksam zu machen. Aber genau wie in den vergangenen zwei Wochen ist heute keine Nachricht in meinem Postfach.
Enttäuscht lade ich ein Foto von PJ aus meinem Album herunter und mache auf dem Computer ein Poster fertig, das am Empfang ausgedruckt werden kann.
»Monsieur«, sage ich zu dem Hotelmitarbeiter. »Ich brauche fünfhundert Kopien von diesem Plakat. Keine Angst, ich bezahle natürlich dafür. Achten Sie bitte nur darauf, dass das Foto so scharf wie möglich wird.«
Das Bild stammt aus der Zeit, als PJ noch bei Mme Rouille und mir gewohnt hat und PJ und ich an einem Samstag zusammen auf Sightseeing-Tour gegangen sind. Wir haben eine Italienerin auf der Île de la Cité gebeten, uns mit den beiden Türmen und den Wasserspeiern der Notre Dame im Hintergrund zu fotografieren. Für das Plakat habe ich mich und den Hintergrund entfernt, sodass man nur PJs wunderschönes, lächelndes Gesicht sieht; ihre großen, gefühlvollen Augen; ihre dünne Nase und die hohen Wangenknochen; die blasse, klare Haut; und die breiten, fast bläulichen Lippen, durch die es immer so scheint, als wäre ihr kalt.
Den restlichen Abend verbringe ich damit, überall in Cannes das Vermissten-Bild von PJ anzubringen.
Natürlich ist mir klar, dass es irgendwie hoffnungslos ist, aber ich weiß einfach nicht, was ich sonst tun soll.
21 • ZACK
Feuertaufe
»Brüder!«, ruft Pierson Bobby und mir vor dem Rijksmuseum quer über die breite Straße mit den Bäumen und Bänken, auf denen lauter Amsterdamer sitzen, zu. Das Rijksmuseum ist Amsterdams Riesenpalast mit vielen Meisterwerken der Kunst. Mit seinen eindrucksvollen Turmspitzen, den Kirchenfenstern und der enormen Gewölbehalle, die man als Erstes betritt, sieht das Museum aus wie ein Schloss oder eine Kirche. Innen war es brütend heiß, aber jetzt, wieder draußen in der Kälte, müssen wir schnell unsere Mäntel überziehen. Neidvoll schaue ich auf Bobbys rotbraunen Parka. Nicht jeder kann so eine eigenartige Farbe tragen. Aber an Bobby sieht so etwas einfach supertoll aus. An mir würde es aussehen wie aus der Altkleidersammlung.
Bobby und ich haben gerade unseren langen Rundgang durch das Rijksmuseum beendet, bei dem Bobby den Museumsführer gemimt hat und ich den hingerissenen Schüler. Bobby hat eine Vorliebe für die alten niederländischen Meister. Es gibt jede Menge dieser schönen Mädchen-auf-einer-bezaubernden-Wiese-Gemälde - die Bilder, bei denen man immer an Hirten denkt, die Milchmädchen umgarnen und für sie singen. Im Kunstunterricht habe ich oft gesehen, wie PJ solche traumähnlichen, engelhaften Frauen gemalt hat, umgeben von Blumen oder Seidenkissen. Aber die Gemälde, auf die Bobby mich besonders hingewiesen hat, waren verstörender. Es waren realistische Porträts, eines noch unheimlicher als das andere.
Einmal sind wir stehen geblieben und haben ein Bild einer alten, zerfurcht aussehenden Frau mit einem schmutzigen, weißen Kopftuch betrachtet. Sie lächelte, aber durch ihre Zahnlücken und ihr gelblich verfärbtes Zahnfleisch sah sie eher schaurig aus als vergnügt.
»Stell dir nur mal vor, wie die gestunken haben muss, oh Mann«, flüsterte mir Bobby ins Ohr, als mir gerade der Gedanke durch den Kopf ging, wie glücklich ich mich schätzen kann, dass ich im Zeitalter moderner Zahnmedizin lebe. Im Museum war es so ruhig wie auf der Beerdigung eines Menschen, den niemand sonderlich leiden konnte, aber ich prustete trotzdem los und konnte nicht mehr an mich halten. Wer auch immer der Künstler war, ich bin sicher, er hat nicht damit gerechnet, dass eines Tages irgend so ein blöder Ami über sein Meisterwerk lachen
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