Beautiful Americans - 02 - Kopfüber in die Liebe
gesorgt, dass nicht alles aus dem Ruder läuft. Aber nein, ich musste ja unbedingt in der Revue Bohème tanzen.
»Olivia«, sagt Thomas sanft. »Lass sie. Nicht alle haben den Tatendrang und den Antrieb, so viel auf die Reihe zu kriegen wie du. Du bist ein viel besonderer Mensch als deine amerikanischen Freunde.«
Mir schießen Tränen in die Augen, aber ich unterdrücke sie nicht. »Nein! Sie sind was Besonderes. Sie haben vielleicht Fehler gemacht, aber die können sie doch wiedergutmachen! Ich weiß, dass sie das können! Sie haben die Suche nach PJ aufgegeben und sie haben auch das Lycée aufgegeben. Wie konnten sie nur?«
»Glaubst du das, was stand in der E-Mail, die du von PJ gesehen hast?«, fragt Thomas.
»Du meinst, ob sie sie wirklich selbst geschrieben hat?«
»Ja, aber auch, ob du das glaubst, was sie geschrieben hat? Oder ob sie vielleicht stand unter irgendeinem Zwang, was meinst du?«
»Oh mein Gott, Thomas«, sage ich. »Denkst du etwa, sie wurde vielleicht entführt?« Für einen Augenblick ist mein Gehirn so leer und weiß wie eine unbespielte Kinoleinwand.
»Lass uns darüber nachdenken, Olivia. Vertrauen wir unseren Instinkten.«
Ich empfinde solche Dankbarkeit dafür, wie unerschütterlich und treu er zu mir steht, dass ich aufhöre zu weinen.
»Je t'aime, Thomas«, sage ich zu ihm. »Ich liebe dich wirklich.«
* * *
***
Mithilfe von Thomas' Kreditkarte nehmen wir uns in einem viel preiswerteren Hotel ein paar Blocks vom Grand Palace Hotel entfernt ein Zimmer. Dort, in dem muffigen Raum mit dem zotteligen rosafarbenen Teppich und den omahaften Blumenbildern, ziehen Thomas und ich die Vorhänge zu, um den Raum abzudunkeln und uns ein bisschen hinzulegen. Das Hotel erinnert mich an all die billigen Motels, in denen meine Mom und ich früher untergekommen sind, wenn ich wegen irgendwelcher Tanzwettbewerbe oder regionalen Ballett-Auditions herumreisen musste. Die Handtücher im Bad sind abgenutzt und voller ausgeblichener Flecken, und der Duschvorhang schimmelt an den Rändern.
Wir dösen mehrere Stunden lang. Meinen Schlaf sucht PJ heim - Bilder von ihr, gefesselt und geknebelt. Ich sehe vor mir, wie jemand sie dazu zwingt, die Worte Vergiss mich zu schreiben. In meinem leichten Schlaf höre ich die Worte der E-Mail, die sie an Jay geschickt und die er mir heute Morgen im Grand Palace Hotel vorgelesen hat.
Als wir aufwachen, wird es bereits langsam wieder dunkel. Ich rüttle Thomas wach. »Ich kann es nicht nicht versuchen. Nicht nach dem, was deine Mom mir erzählt hat.«
»Was hat dir Maman denn erzählt?« Schlagartig ist Thomas hellwach und mustert mich mit großem Interesse. »Du hast mir noch immer nichts davon verraten.«
Ich habe Mme Rouille hoch und heilig versprochen, dass ich die Tragödie ihrer Vergangenheit nicht ihrem Sohn erzählen würde. Und ich habe vor, dieses Versprechen zu halten, solange ich lebe. Diese Geschichte, diese schreckliche Geschichte, sollte ein Sohn nur direkt von seiner Mutter erfahren, nicht von seiner neuen Freundin.
»Deine Mom hat mir erzählt, dass die Marquets keine geeigneten Gasteltern sind«, antworte ich bloß. »Ich habe Angst, dass sie etwas gemacht haben, womit sie PJ verprellt haben. Und dass PJ zu beschämt war, um sich irgendjemandem anzuvertrauen. Ich fürchte, dass sie irgendwo umherirrt, ohne zu wissen, wohin sie sich wenden kann.« Ich behalte lieber für mich, dass ich mir Sorgen mache, ob es vielleicht Konsequenzen für PJ hat, wenn sie wirklich eine Auseinandersetzung mit den Marquets hatte. Konsequenzen, die ihre Zukunft zerstören oder ihr Leben in Frankreich zunichte machen könnten, so wie M. Marquet über Jahre einen Groll auf Mme Rouille gehegt hatte.
Wenn nicht Mme Marquet gewesen wäre, hätte sich Thomas vielleicht nie dem Rachefeldzug von M. Marquet gegen seine Familie entziehen können. Und das nur deshalb, weil Mme Rouille noch immer einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert in Paris hatte, zumindest in einigen Kreisen, die Mme Marquet wichtig fand. Aber PJ... sie hat weder Einfluss noch irgendeine Art Macht.
Sie ist dem Ganzen hilflos ausgeliefert.
Thomas greift nach mir und hält mich fest - erst da wird mir bewusst, dass ich gezittert habe. »Okay, Olivia.« Er weiß, dass ich ihm nicht alles, was ich weiß, erzähle, und trotzdem unterstützt er mich so. Vor Dankbarkeit könnte ich heulen.
»Ich kann nicht schlafen«, sage ich zu Thomas. »Ich werde meine E-Mails checken.«
Die Lobby unseres Hotels ist
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