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Beautiful Losers

Beautiful Losers

Titel: Beautiful Losers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonard Cohen
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Rollen lesen dürfen? Was ist mit uns, die ein Baumhaus vollgestunken haben? Warum war alles so beeindruckend und irritierend bei dir? Warum hast du mich nicht getröstet wie der Heilige Augustinus, der sang: »Sehet die Ahnungslosen emporsteigen, um uns den Himmel vor den Augen wegzuschnappen«? Warum konntest du nicht zu mir sprechen, wie die Heilige Jungfrau einst, irgendwann im neunzehnten Jahrhundert, auf der Rue du Bac, einer ganz normalen Straße, zu dem Bauernmädchen Catherine Labouré gesprochen hat? »Gnade wird über euch kommen, die ihr sie mit Glauben und Inbrunst erbittet.« Warum muss ich das vernarbte Gesicht der Catherine Tekakwitha absuchen wie das Fernrohr einer Mondrakete? Was hast du gemeint, als du blutend in meinen Armen lagst und sprachst: »Jetzt bist du an der Reihe.« Leute, die diesen Satz sagen, wollen immer andeuten, dass sie den schwierigeren Teil der Aufgabe bereits erledigt haben. Wer hat schon Lust, die Aufräumarbeiten zu machen? Wer hat schon Lust, sich auf den angewärmten Fahrersitz zu setzen. Ich will kühles Leder, wie du. Ich habe Montréal geliebt, wie du. Ich bin nicht immer so ein Waldschrat gewesen. Ich war ein Bürger. Ich hatte eine Frau und Bücher. Am 17. Mai 1642 näherte sich Maisonneuves kleine Armada (bestehend aus einem kiellosen Segelboot, der sogenannten Pinasse, und zwei Ruderbooten) Montréal. Am folgenden Tag glitten sie das grüne, einsame Ufer entlang und landeten an der Stelle, die Champlain einunddreißig Jahre zuvor als Ort für eine Siedlung ausgewählt hatte. Über dem frischen Gras wippten die ersten Frühlingsblüten. Maisonneuve sprang an Land. Ihm folgten Zelte, Gepäck, Waffen und Proviant. An einer hübschen Stelle errichtete man einen Altar. Die ganze Siedlergemeinde versammelte sich vor dem Heiligtum: der hoch gewachsene Maisonneuve, dicht umdrängt von seinen Männern, herben Typen, sowie Mademoiselle Mance, Madame de la Peltrie, ihr Diener, Handwerker und Arbeiter. Und hier, prachtvoll hergerichtet zur Ausübung seines Amtes, stand Pater Vimont, Superior der Missionen. Andächtige Stille lag über den Knieenden, als die Hostie emporgehoben wurde. Nun wandte sich der Priester an die kleine Gemeinde und sagte:
    – Ihr seid das Senfkorn, das aufgehen und wachsen soll, bis der Schatten seiner Zweige die Erde bedeckt. Ihr seid nur wenige, aber euer Werk ist das Werk Gottes. Sein Lächeln ist über euch, eure Kinder sollen das Land füllen.
    Am späten Nachmittag wurde es dunkler. Die Sonne verlor sich in den westlichen Wäldern. Glühwürmchen blitzten über der dämmrigen Wiese auf. Sie fingen sie, zogen sie auf Fäden und banden die funkelnden Girlanden an den Altar, wo noch die Hostie ausgestellt war. Dann bauten sie die Zelte auf, entzündeten Lagerfeuer, stellten Wachen auf und legten sich zur Ruhe. Dies war die erste Messe, die in Montréal gelesen wurde. Und ja, von dieser Hütte aus sehe ich die Lichter der großen Stadt, die damals prophezeit wurde, einer Stadt, die dereinst ihren Schatten über den gesamten Erdball werfen sollte, ich sehe die Lichter von Downtown, Glühwürmchen, die in locker fallenden Girlanden funkeln. So finde ich Trost an einem verschneiten 6. März. Mir fällt eine Zeile aus der jüdischen Kabbala ein (Sechster Teil aus dem Bart des Macroprosopus), »dass der Zweck eines jeden Werkes darin besteht, die Gnade zu mehren …« Komm näher, Leichnam der Catherine Tekakwitha, es ist zwanzig Grad unter null, ich weiß nicht, wie ich dich in meine Arme nehmen soll. Riechst du in diesem Kühlschrank? Die Heilige Angela Merici starb 1540. 1672 wurde sie wieder ausgegraben (Kateri Tekakwitha, du warst damals ein Kind von sechs Jahren), ihr Leichnam duftete lieblich und war auch 1876 noch unversehrt. Der Heilige Johannes Nepomuk starb 1393 in Prag den Märtyrertod, er hatte sich geweigert, ein Beichtgeheimnis preiszugeben. Seine Zunge ist vollständig erhalten. Dreihundertzweiunddreißig Jahre später, 1725, wurde sie von Fachleuten untersucht, die bezeugten, dass sie in Form, Farbe und Länge der Zunge eines lebendigen Menschen entsprach, und dass sie weich und biegsam war. Der Leichnam der Heiligen Katharina von Bologna (1413-1463) wurde drei Monate nach dem Begräbnis ausgegraben, ein lieblicher Duft stieg von ihm auf. Der Körper des Heiligen Pacificus di San Severino, der 1721 starb, wurde vier Jahre später exhumiert, er roch frisch und war unverdorben. Als man den Leichnam aufhob, rutschte einer der Träger aus. Der

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