Becky Brown - Versprich, Nach Mir Zu Suchen!
des Weges lagen. Einige der Wohnhäuser, unter ihnen mehrere klobige Blockhütten, sahen ansprechend aus, viele machten jedoch einen sehr primitiven, ja ärmlichen Eindruck. Und manche sahen sogar wie Erdunterkünfte aus, ragten sie doch mit ihrem Dach, das mit dicken Grassoden gedeckt war, nur wenige Fuß hoch aus dem Boden hervor.
Als Beckys Blick lange einer dieser merkwürdigen Behausungen folgte, aus deren kurzem Ofenrohr Rauch wehte, und sie sich die bange Frage stellte, ob am Ende ihrer Fahrt womöglich auch solch ein Erdloch als ihr neues Zuhause lag, brach Winston ihr langes Schweigen und erklärte ihr, was es mit diesen merkwürdigen Unterkünften auf sich hatte.
»Diese Heimstätten nennt man dougouts, weil der Wohnraum aus der Erde gegraben wird und man die Wände nur notdürftig mit Brettern verkleidet«, sagte er. »Sie mögen dir sehr primitiv erscheinen, was sie einerseits ja auch sind. Aber sie sind auch sehr praktisch und tun ihren Zweck, solange man nicht das Geld hat, sich ein richtiges Haus zu bauen. Denn im Winter ist man in einem solchen dougout sehr gut vor Wind und Kälte geschützt und in den heißen Sommermonaten bleibt es dort wiederum angenehm kühl.«
Becky wollte sich die Frage verbeißen, die ihr auf der Zunge lag, vermochte es dann aber doch nicht. »Und zu so einem dougout fahren wir jetzt?«
Er lachte auf. »Nein, du kannst unbesorgt sein. Du wirst nicht unter der Erde wohnen müssen. Wir haben ein richtiges Farmhaus. Nichts Besonderes zwar, aber ich bin sicher, dass es dir gefallen wird. Meine Frau Emily ist eine tüchtige Frau mit einer geschickten Hand. Sie versteht sich darauf, aus wenig viel zu machen.«
Becky gab sich Mühe, nicht zu erleichtert auszusehen. Sie wollte nicht den Eindruck auf ihn machen, undankbar und anspruchsvoll zu sein. Wenn er wüsste, in welch abstoßenden Löchern sie und Daniel schon unzählige Nächte verbracht hatten!
Wieder versanken sie für lange Zeit in Schweigen, während Sammy mit gleichmäßigem Hufschlag den Buggy über Hügelkuppen und struppiges Wintergras zog.
Die kraftlose Sonne, eine blassrote Scheibe, die an ihrer Außenkante auseinander lief wie ein Eidotter in der Pfanne, hatte sich auf ihrem Abstieg dem westlichen Horizont bis auf drei Handbreit genähert, als Becky es sich plötzlich anders überlegte und sie von sich zu erzählen begann. Sie hatte Zutrauen gefasst und fand, dass er das Recht hatte, über sie mehr als nur ihren Namen zu erfahren.
Aufmerksam und ohne sie durch viele Fragen zu unterbrechen, hörte er zu, als sie von ihrer deutschen Heimat, der Auswanderung und von den bitteren Zeiten und dem Elend erzählte, das in New York über ihre Familie gekommen war und sie letztlich zu Waisen gemacht hatte. Über die fast zwei Jahre, die sie mit ihrem Bruder als Straßenkinder verbracht hatte, ließ sie sich jedoch nur sehr kurz aus. Und kein Wort kam ihr über Daniels Verurteilung und das dunkle Kapitel Blackwell’s Island über die Lippen.
»So, du hast also noch einen kleinen Bruder«, sagte er überrascht. »Und was ist aus ihm geworden?«
»Wir haben uns getrennt, weil... weil es so besser für uns beide ist«, antwortete Becky vage. »Er wird jetzt ganz unten im Süden bei einer Familie sein. Miss Cunningham hat mir versprochen, mir seine Adresse zu schicken, damit wir uns schreiben können. Und... und irgendwann einmal, wenn wir älter sind, werden wir uns dann wiedersehen.«
»Das werdet ihr bestimmt«, sagte er, und dann ging jeder wieder seinen eigenen Gedanken nach, ohne dass ihr Schweigen jedoch etwas Trennendes oder gar Bedrückendes an sich hatte.
Eine gute halbe Stunde später, nachdem sie dem tiefen Sonnenstand nach zu urteilen über zwei Stunden unterwegs gewesen waren, zeichneten sich vor dem Abendhimmel das hohe Gerüst eines Windrades sowie mehrere Gebäude ab.
»Da ist sie, Becky! Unsere Farm! Wir haben ihr den Namen Deer Creek Farm gegeben, nach dem kleinen Fluss, der auf der anderen Seite bei dem Wäldchen dort drüben durch unser Land fließt!«, sagte Winston stolz und deutete nach vorn. »Gleich haben wir es geschafft!«
Becky war mit einem Mal nach Weinen zumute, vor seelischer wie körperlicher Erschöpfung, die in ihr jetzt mit voller Macht durchbrach, aber auch vor Dankbarkeit, ein Zuhause gefunden zu haben.
38
N ACH allem, was hinter ihr lag, wäre Becky schon mit einem jener klobigen Blockhäuser zufrieden gewesen, wie sie sie auf ihrer Fahrt von Madisonville hier und dort auf
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