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Bedenke Phlebas

Bedenke Phlebas

Titel: Bedenke Phlebas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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noch
steifgefroren. Bevor sie sich auf den Weg zum Schiff machte, ruhte
Balveda dort in der Dunkelheit für einen Augenblick aus, setzte
sich auf den Tunnelboden, wo der Schnee hereingetrieben war.
    Ihr Rücken schmerzte dumpf, ihr Kopf hämmerte, ihr Arm
war taub. Sie trug den Ring, den sie Horza von der Hand gezogen
hatte, und hoffte, sein Anzug und vielleicht die elektrischen
Schaltungen des Roboters würden sie dem wartenden Schiff als
Freunde identifizieren.
    Wenn nicht, bedeutete es ganz einfach den Tod für sie
alle.
    Wieder sah sie Horza an.
    Das Gesicht des Mannes auf der Bahre war weiß wie der Schnee
und ebenso leer. Die Züge waren vorhanden: Augen, Nase, Stirn,
Mund. Aber sie schienen irgendwie nicht miteinander verbunden zu sein
und verliehen einem Gesicht, dem Charakter, Belebung und Tiefe
völlig fehlten, ein anonymes Aussehen. Es war, als ob all die
Leute, all die Charaktere, all die Rollen, die der Mann in seinem
Leben gespielt hatte, in seinem Koma aus ihm herausgesickert seien,
als hätten sie jeder ihren eigenen kleinen Anteil von seinem
wirklichen Ich mit sich genommen und ihn wie eine leergewischte Tafel
zurückgelassen.
    Der Roboter, der die Tragbahre trug, plapperte kurz in einer
Sprache, die Balveda nicht erkennen konnte. Seine Stimme hallte den
Tunnel hinunter. Dann verstummte er. Das Gehirn schwebte. Es war
immer noch mattsilbern, die fleckige Regenbogen-Oberfläche
seines ellipsoiden Körpers spiegelte Balveda, das trübe
Licht draußen und den Mann und den Roboter wider.
    Sie stellte sich auf die Füße, und mit einer Hand schob
sie die Tragbahre über die mondbeschienene Ebene auf das Schiff
zu. Sie sank in dem Schnee bis an die Hüften ein. Der stahlblaue
Schatten der sich abmühenden Frau fiel weg von dem Mond in
Richtung der dunklen fernen Berge, wo ein Vorhang aus Sturmwolken wie
eine tiefere Nacht hing. Balvedas Spuren, tief und verwischt,
führten zur Tunnelmündung zurück. Sie weinte leise vor
Anstrengung und vor den lähmenden Schmerzen, die ihre Wunden
verursachten.
    Zweimal auf ihrem Weg hob sie den Kopf zu dem dunklen Umriß
des Schiffes. Eine Mischung aus Hoffnung und Angst auf dem Gesicht,
wartete sie auf das warnende Laserlicht, das ihr sagen würde,
daß die Sicherungsautomatik des Fahrzeugs sie nicht
akzeptierte, daß der Roboter und Horzas Anzug beide zu stark
beschädigt waren, um von dem Schiff erkannt zu werden, daß
es vorbei war und daß sie hier sterben mußte, hundert
Meter von Sicherheit und Flucht entfernt – aber ferngehalten
durch eine Anordnung treuer, automatischer, über kein
Bewußtsein verfügender Schaltungen…
    … Der Lift kam herunter, als sie den Ring von Horzas Hand in
die Aufzugskontrollen einführte. Sie brachte den Roboter und den
Mann in den Frachtraum. Der Roboter murmelte, der Mann war still und
bewegungslos wie eine gefallene Statue.
    Sie hatte vorgehabt, die Sicherungsautomatik des Schiffes
abzuschalten und sofort das Gehirn zu holen, aber die eisige Stille
des Mannes ängstigte sie. Sie holte die medizinische
Notfall-Ausrüstung und drehte die Heizung im Frachtraum an. Aber
als sie zu der Bahre zurückkehrte, war der Wandler mit dem
leeren Gesicht tot.

 
     
ANHANG

----
     
     
Der Krieg zwischen
den Idiranern
und der Kultur

(Bei den folgenden drei Kapiteln handelt es sich um Auszüge
aus Kurze Geschichte des idiranischen Krieges [Version in
englischer Sprache und nach christlichem Kalender, Originaltext 2110
n. Chr., unverändert], herausgegeben von Parharengyisa
Listach Ja’andeesih Petrain dam Kotosklo.
    Das Werk stellt einen Teil eines unabhängigen, vom Kontakt
nicht finanzierten, aber gebilligten Erde-Extro-Informationspacks
dar.)

 
    Gründe: Die Kultur
     
    Es war, das wußte die Kultur von Anfang an, ein
Religionskrieg im vollen Sinne des Wortes. Die Kultur zog in den
Krieg, um ihren eigenen Seelenfrieden zu retten, nicht mehr. Aber
dieser Friede war der kostbarste Besitz der Kultur und vielleicht ihr
einziger wahrer und hochgeschätzter Besitz.
    In der Praxis ebenso wie in der Theorie war die Kultur über
Gedanken an Reichtum oder Erwerb hinausgewachsen.
    Das bloße Konzept des Geldes – von der Kultur als
primitives, viel zu kompliziertes und unwirksames Mittel der
Rationierung betrachtet – war irrelevant innerhalb einer
Gesellschaft, deren Produktionsmittel eine Kapazität
besaßen, die überall und in jeder Beziehung
größer war, als ihre nicht einfallslosen Bürger
vernünftiger- und in einigen Fällen

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