Bedroht
dagegen. Im Gegenteil. Der Sex war vorhersehbar, eine vertraute Gewohnheit, aber Lukas war ein sensibler und aufmerksamer Liebhaber, dessen Ehrgeiz darin bestand, sie zuerst zu befriedigen. Anschließend ging es für ihn in der Regel recht schnell und ohne große Anstrengung. Kraulst du mich, kraule ich dich. Gelegentlich nervte sie seine Genügsamkeit, sein zufriedenes Lächeln, das davon ausging, dass sie wunschlos glücklich war. Wahrscheinlich stellte sie zu hohe Forderungen an das Leben. Ein stiller Wunsch, dass es größer, wirklicher sein möge.
Warum konnte sich Anna nicht mit den philosophischen Lebensweisheiten von Kühlschrankmagneten zufriedengeben? Das Leben spielt sich ab, während du an andere Dinge denkst. Morgen ist der erste Tag vom Rest deines Lebens. Carpe diem.
Lukas stieg aus dem Bett und zog seine Unterhose an, offenbar ungeniert ob seines alternden Körpers.
»Wie läuft das Autogeschäft?«, fragte Anna.
»Gut. Morgen kommt ein Interessent, um sich den Wagen anzuschauen. Er hat sich nach dem Preis erkundigt. Ich gehe davon aus, dass wir uns darauf einstellen müssen, ein paar Tausender runterzugehen.«
»Das wäre unterm Strich dann immer noch mehr, als wenn wir den Wagen in Zahlung gegeben hätten.«
»Hoffentlich.«
Als Anna an ihm vorbei aus dem Zimmer ging, streckte er zärtlich den Arm nach ihr aus und streichelte sie kurz. Sie antwortete mit einem Lächeln.
Im Bad überlegte sie sich, ob sie möglicherweise auf der Suche nach Schwächen bei Lukas war, um ihren Fehltritt zu rechtfertigen.
Ein untreuer Mann konnte sich stets auf die animalischen Triebe berufen, darauf, dass er wirklich nichts dafür konnte. Eine Frau musste mit besseren Erklärungen aufwarten.
Sissela sagte immer, dass jemand, dem es zu Hause gut ging, nicht woanders Spaß suchte. Wie altbacken. Wahrscheinlich meinte sie es nur gut und wollte damit Trude mit ihren ständigen Affären von jeglicher Schuld freisprechen. Aber wer weiß, vielleicht hatte Trude zu Hause ganz fantastischen Sex, der ihren Appetit auf Abenteuer außerhalb der eigenen vier Wände nur noch steigerte.
Es gab Untersuchungen, die nachwiesen, dass mehr Männer untreu waren als Frauen. Die Wahrheit sah vermutlich anders aus. Untreue war ein subjektiver und dehnbarer Begriff. Männer hatten Affären, Frauen verliebten sich. Und unter dem Deckmantel der Liebe wurden keine Fehler begangen.
37
Eine halbe Stunde später schaltete Anna ihr Handy wieder ein und stellte erleichtert fest, dass sie keine Anrufe verpasst oder SMS erhalten hatte. Draußen vor der Garage umkreiste Lukas im Dunkeln das Auto, polierte noch einmal den Lack, putzte die Windschutzscheibe und schüttelte die Fußmatte auf der Fahrerseite aus. Hedda kam auf schlecht aufgepumpten Reifen angeradelt.
»Hallo, Liebling, war’s nett?«, fragte Anna, als ihre Tochter das Haus betrat.
»Ja.«
»Was habt ihr gegessen?«
»Frikadellen.«
»Lecker«, erwiderte Anna munter.
»Geht so.«
»Wie geht es Louise?«
»Gut.«
»Und ihren Eltern?«
»Auch.«
»Ich wollte gerade Eis essen. Willst du auch?«
»Was für welches?«
»Weiß nicht. Ich glaube, Vanille.«
Anna öffnete das Gefrierfach.
»Ja, Vanille.«
»Okay.«
»Frag Papa, ob er auch Eis will.«
Hedda ging zur Haustür, öffnete sie einen Spalt und rief nach ihrem Vater.
»Er will keins«, teilte sie mit, als sie in die Küche zurückkehrte.
»Hast du Hausaufgaben?«
»Nein. Wir haben sie zusammen gemacht.«
»Louise und du?«
»Ja.«
Annas Unbehagen verflog allmählich. Diese alltägliche Tätigkeit, Eiskugeln in tiefe Teller zu geben, lenkte sie von ihrer Dummheit ab, die eines Tages die Welt ihrer Tochter zum Einsturz bringen könnte.
»Kann ich dein Handy haben?«, fragte Hedda. »Ich will ein Spiel spielen.«
»Nicht beim Eisessen.«
»Ich nehm es auch in die linke Hand.«
Anna gab ihr das Handy. Ihre zehnjährige Tochter betätigte geübt und mühelos die richtigen Tasten.
»Warum hast du das Handy auf lautlos geschaltet?«
»Hab ich das?«
»Ja.«
Hedda schaltete den Ton ein. Eine monotone Melodie, unterbrochen von Actiongeräuschen, quietschenden Reifen und Explosionen, ertönte. Anna betrachtete ihre Tochter mit derselben liebevollen Nachsicht, mit der auch ihre Mutter sie wenige Stunden zuvor angeschaut hatte. Das Geräusch wurde plötzlich von einem Signalton unterbrochen.
»SMS«, sagte Hedda und reichte ihrer Mutter das Handy.
Anna kannte die Nummer. Das Unbehagen war sofort wieder da.
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