Bedroht
mit Anna. Kurze Mitteilungen und Fragen, die Termine, Gratulationen, Geburtstagsgeschenke oder Kommentare betrafen. Nichts über ihn, überhaupt nichts.
Er ging die restliche Liste durch. Die meisten Nachrichten richteten sich an Freundinnen, in denen es um alles Mögliche zwischen Himmel und Erde ging. Der intensivste SMS-Wechsel, abgesehen von dem mit Anna, hatte mit einer Frau namens Ditte stattgefunden, mit der Kathrine in Kopenhagen ins Theater und in die Oper ging. Er war fast durch, als das Handy erneut zu plärren begann. Auf dem Display tauchte Annas Name auf, und Erik drückte das Gespräch aus reiner Panik weg.
Nicht gut. Oder vielleicht doch. Vielleicht ganz ausgezeichnet.
Anna war es offenbar gewohnt, ihre Mutter jederzeit zu erreichen und würde es so lange weiter probieren, bis Kathrine abhob.
Erik brauchte Zeit. Zeit und ein Alibi. Er klickte sich wieder zu den Mitteilungen durch und schrieb: Bin bei Ditte in Kopenhagen, rufe dich morgen an. Er zögerte kurz und drückte dann auf Senden . Die Mitteilung war abgeschickt. Er war zufrieden. Allerdings nur eine halbe Sekunde lang. Dann ging ihm auf, dass er keine Ahnung hatte, wer Ditte war. Vielleicht hielt sie sich gerade im Ausland auf oder lag im Koma. Er war ein Risiko eingegangen, und das war idiotisch. Außerdem konnte man Handys orten. Er musste es loswerden.
Er legte es auf den Küchentisch und ging eine Runde durch die Wohnung. Jetzt ganz ruhig bleiben. Nur nicht in Panik geraten. Er betrachtete Kathrine. Sie war keine große Frau. Vermutlich wog sie nicht mehr als sechzig Kilo. Er nahm ihre Handtasche, stellte sie auf den Tisch und durchsuchte sie. In der Brieftasche lagen 640 Kronen in bar, etwa zwanzig Quittungen und ein halbes Dutzend Bonuskarten verschiedener Ladenketten. Er steckte das Geld und den Schlüsselbund ein und machte die Handtasche wieder zu.
Sechzig Kilo, das war nichts. An der Fischtheke hatte er Heilbutts filetiert, die das Dreifache gewogen hatten. Er betrachtete Kathrine, nahm einen schwachen Urin- und Kotgeruch wahr, krempelte die Ärmel auf, beugte sich vor und hob sie hoch. Als der Kopf zur Seite kippte, ließ er sie entsetzt fallen und starrte sie atemlos an.
Nachdem er sicher war, dass sie sich nicht aus eigener Kraft bewegt hatte, beugte er sich erneut vor und hob sie hoch.
Das Gewicht war kein Problem. Sie wog vermutlich eher fünfzig als sechzig Kilo. Er legte sie in die Badewanne und wusch sich die Unterarme am Waschbecken.
Er begutachtete den Fußboden. Er war leicht feucht, Urin wahrscheinlich. Eventuelle Exkremente befanden sich offenbar noch in ihrer Unterwäsche. Er wischte den Boden mit Küchenkrepp trocken.
Er musste die Leiche so schnell wie möglich aus der Wohnung schaffen, ohne übereilt und panisch zu handeln und dabei zu riskieren, entdeckt zu werden. Aber wie entsorgte man unauffällig eine Leiche?
Erik ging ins Badezimmer zurück und betrachtete die Tote. Sie war ein Fisch. So musste er die Sache angehen.
Das Telefon gab ein Signal von sich. Er ging zum Küchentisch. Eine neue SMS.
Kopenhagen? Schon wieder? Wie nett! Grüß sie von mir.
Erik antwortete.
Danke, mach ich.
65
Anna gehörte nicht zu den Frauen, denen es davor graute, im Alter zu werden wie ihre Mütter. Sie konnte sich nichts Schöneres vorstellen. Es gab Augenblicke, in denen sie sich wünschte, so zu werden wie ihre Mutter. Sie beneidete sie sogar um ihr Alter. Anna freute sich auf jene von grundloser Besorgnis befreite Lebensphase, in der man stark genug war, seine Meinung zu sagen, und bescheiden genug, niemanden zu verurteilen.
Anna fand es toll, dass ihre Mutter kulturell interessiert war, sich mit Freunden traf. Und jetzt war sie also wieder bei Ditte in Kopenhagen.
Anna griff zum Telefon und rief den Empfang an.
»Stellst du meine Anrufe bitte wieder durch?«
»Ja, natürlich«, erwiderte Renée.
»Okay. Wunderbar. Danke.«
Anna nahm sich den Ausdruck nochmals vor. Plötzlich formten die Buchstaben wieder Worte, die sich zu Sätzen fügten, die einen zwar nicht sehr unterhaltenden, aber immerhin verständlichen Text ergaben.
66
Erik setzte sich mit Papier und Bleistift an den Küchentisch. Er schlug mit dem Stift gegen die Zähne seines Unterkiefers. Was benötigte man?
Fleischerbeil
Oder so ein großes, asiatisches Messer. Bei Ikea gab es sicher was Passendes. Sein eigenes Brotmesser war unbrauchbar, und das Filetiermesser ließ sich nur für Haut und Muskeln verwenden. Es eignete sich zum
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