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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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regelmäßigen Besuchen in der Caspar’schen Wohnung, wo er dann steif auf dem Kanapee gesessen und Auskunft über seine Lehre gegeben hatte. Er musste Caspar dankbar sein, keine Frage, denn es war etwas ganz Außergewöhnliches, dass der Johannes Helmbrecht aus der Stadtmühle eines Tages Goldschmied sein würde. Die Leute in Grunbach schüttelten immer wieder den Kopf, wenn die Rede darauf kam. Wie er es denn anstelle, hatte man ihn oft gefragt, vom Beerensammeln allein konnte er wohl kaum leben und die Ahne verdiente nichts mehr, die war zu alt, zu gebrechlich, die musste er doch jetzt sogar miternähren. Er lächelte dann immer, gab nichtssagende, ausweichende Antworten und dachte dabei an den Herrn Oberlehrer Caspar, dem er das alles verdankte, und dachte daran, auch in diesem Moment, dass er ihm bis zum Ende seines Lebens dankbar sein musste. Und deshalb war es dringend geboten, ihn zu besuchen, um ihm zu zeigen, dass er das Geld nicht umsonst ausgegeben hatte, er lebte noch und konnte die Lehre fertig machen, aber viel wichtiger war noch etwas anderes: Er musste Caspar alles erzählen, was er erlebt hatte, damit er seinen großen Irrtum einsah! Man starb keinen Heldentod im Krieg, man verreckte elendiglich und der Krieg zeugte auch keine Helden und Mut und Opferbereitschaft, das »Beste im Menschen«, wie Caspar immer gesagt hatte. Der Krieg zeugte nur das Böse, die Angst und den Tod, den vielfachen Tod, der einen aus zerborstenen Schädeln anstarrte. Diese Schädel, die Caspar immer vermessen hatte, welche Bedeutung hatte denn ihr Umfang, wenn sie aufgedunsen, der Verwesung preisgegeben, sich langsam auflösten? Nein, es war alles ein großer Irrtum, dieser Glaube an den Heldentod und die überlegene Rasse – das alles musste er Caspar unbedingt erzählen!
    Und vielleicht auch von Paules Rosa und ihren Gedanken, dass die Gier nach Besitz alles zerstörte und dass viele Dinge allen Menschen gehören mussten. So wie er es immer wieder beim Betrachten der Bilder in Caspars großen Büchern geradezu verzückt gedacht und auch ausgesprochen hatte, vielleicht kindlich naiv, aber doch ganz überzeugt und Paule hatte es letztendlich bestätigt: Das Schöne musste allen gehören, Bilder beispielsweise mussten von allen gesehen werden können und in diesen Museen sollte man nichts bezahlen müssen!
    Er hatte aber noch einen anderen Grund, um als Erstes Herrn Caspar aufzusuchen : Seine Taugenichts-Bilder wollte er wiedersehen! Wenn er die Bilder wiedersah und auch den Katzenbuckel, wie er in der Sonne dalag und den Wald in allen Schattierungen des Grüns und die sanfte Auwiese mit dem bläulichen Wiesenschaumkraut und den zartgelben Tupfen des Hahnenfußes, dann konnte er bestimmt wieder malen. Dann fand er seine Farben wieder und auch seine Bilder!
    Davon erzählte er allerdings Paule nichts, der vom »Kunstkram« sowieso nicht viel hielt. Dass Johannes malen konnte, hatte ihn nur kurzfristig erschüttert. Wahrscheinlich stellte er sich darunter lediglich ein stümperhaftes Gekritzel vor, wie er es selber zu Wege brachte, denn er hatte keine Kostproben von Johannes’ Arbeiten gesehen. Aber dass er einen neuen Kampfgenossen gewonnen hatte, einen Freund im Geiste und in der Wirklichkeit, davon war Paule tief durchdrungen. »Musst mich unbedingt in Berlin besuchen«, redete er unablässig auf Johannes ein.
    Dann kam die Stunde des Abschieds, Johannes hatte fertig gepackt und den Entlassungsschein in der Tasche. Sie standen in der großen Eingangstür, die zu einer Halle mit stuckverzierter Decke und einem wundervoll glänzenden Fußboden mit schwarz-weißem Schachbrettmuster führte. Es war einst ein adliges Herrenhaus gewesen, das man in Frankreich requiriert hatte. Und wo früher die seidenen Schleppen der Marquisen hinübergerauscht waren, standen jetzt die blutdurchtränkten Tragen der deutschen Soldaten. Auch Paule passte ganz und gar nicht vor diesen hochherrschaftlichen Hintergrund, Paule in seinem blauen, fleckigen Hemd und mit seinem zerstörten Gesicht. »Bald werden sie mich auch nach Hause schicken, muss noch ein bisschen zurechtgestutzt werden, damit ich die kleinen Kinder nicht gar so arg erschrecke. Und in Berlin soll ich dann richtig operiert werden, hat der Doktor gemeint. Na ja, viel zum Schnibbeln gibt’s nicht mehr«, hatte er zu Johannes am gestrigen Abend gesagt, als sie ein Schnäpschen zum Abschied getrunken hatten und auf einer der weiß lackierten Gartenbänke saßen, die einladend im

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