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Beerensommer

Beerensommer

Titel: Beerensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Barth-Grözinger
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... für Führer, Volk und Vaterland«, anbringen zu müssen, aber da war Marie auch schon auf ihn losgegangen und hatte wüste Schmähungen und Flüche ausgestoßen. Der Ortsgruppenleiter Brenner war zurückgewichen und hatte im Hinausgehen gemeint, dass er Maries Leid achte und respektiere, ansonsten hätte er sie gleich verhaften müssen.
     
    Anna hat das alles gelesen und den Schmerz hinter den Worten gespürt, diesen Worten, mit denen sich Johannes mühte, darzustellen, was mit ihnen geschehen ist. Eine Szene, die er beschrieb, hat sich Anna unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt: Es war einige Stunden nach der Todesnachricht gewesen, er hatte in der Küche gesessen, ganz allein. Marie hatte sich endlich etwas beruhigt, aber sie wollte nicht bei Johannes bleiben. Sie musste Anna ins Schlafzimmer bringen, Anna, ihre Großmutter, die selbst in einem erbarmungswürdigen Zustand war. Dann war sie wieder herübergekommen und Johannes wollte den Arm nach ihr ausstrecken, aber sie hatte eine abwehrende Bewegung gemacht und da hatte er es gesehen: Tiefer Hass hatte in ihren Augen gelegen, den wunderschönen Augen, die sie von ihrer Mutter hatte. »Jetzt hast du es geschafft!«, schleuderte Marie ihm entgegen. »Jetzt ist er tot! Du brauchst ihn nicht mehr anzusehen. Er wird dich nicht mehr an seinen Vater erinnern, auf den du immer noch eifersüchtig bist. Jetzt kannst du ihn nicht mehr prügeln. Er ist weg, für immer, und du bist schuld!«

45
     
    Gretl späht angestrengt durch ihr Wohnzimmerfenster. Wo sie nur bleibt? Mühlbecks Waltraud, die schon lange anders heißt, aber für Gretl trotzdem noch eine Mühlbeck ist, hat vorhin geklingelt und – naseweis, wie sie ist – gleich nach »dem Johannes seinem Urenkele« gefragt. »Sie ist in das alte Haus gegangen, was will sie denn da?«
    Gretl hat sie kurz und bündig abgefertigt, aber jetzt fragt sie sich selbst, was Anna da oben so lange macht. Das letzte von Johannes’ Büchern hat sie mitgenommen. So viele schlimme Dinge stehen darin. Heute Morgen beim Frühstück haben sie lange über Georgs Tod gesprochen und auch drüber, dass das die Familie endgültig kaputtgemacht hat.
    »Aber Johannes ist doch nicht allein schuld daran, dass Georg freiwillig in den Krieg gegangen ist.«
    Gretl hat ihr recht gegeben: »Marie hätte nicht so verbohrt sein dürfen. Man hätte es Georg viel früher sagen müssen, dass Johannes nicht sein Vater ist. Aber im Nachhinein ist man immer klüger. Damals war alles so verquer.« Sie hat Anna dann erzählt, wie sie einige Tage nach dieser Hiobsbotschaft herübergekommen ist. Lene und sie hatten sich abgewechselt, hatten Essen gebracht, denn Marie musste das Bett hüten und Anna war nicht in der Lage gewesen, irgendetwas zu tun. Da hatte sie Johannes dabei angetroffen, wie er seine Bilder verbrannt hat. »Hinter dem Haus, über der Abortgrube. Alle Bilder hat er verbrannt, eins nach dem anderen ins Feuer geworfen. Es hat lichterloh gebrannt. ›Was tust du da?‹, habe ich geschrien, aber er hat seelenruhig weitergemacht. So viele schöne Bilder sind dabei gewesen, Bilder vom Katzenbuckel, von Grunbach und auch die modernen Sachen, die ich nicht so gerne gemocht habe. ›Alles Dreck, Gretl‹, hat er gesagt. ›Ich bin ein Dreckskerl und produziere nur Dreck!‹ Er hat weiter Bild um Bild verbrannt, schnell ist es gegangen, dann war alles weg, die Arbeit so vieler Jahre, sein Stolz und seine Freude.«
    Anna hat gemeint, dass sie schon davon gelesen habe. »Später ist ihm selbst erst richtig klar geworden, warum er das getan hat – es war wohl eine Art Selbstbestrafung. Aber dass er dann gleich ganz mit dem Malen aufgehört hat?«
    »Das hing mit der Anna zusammen, seiner Tochter. Er hatte so furchtbare Angst um sie. ›Nicht auch noch dieses Kind, Gretl‹, hat er gesagt. ›Nicht auch noch Anna. Nie mehr werde ich einen Pinsel, nie mehr werde ich einen Stift in die Hand nehmen, solange ich lebe.‹ Den Tag, an dem er das geschworen hat, kann ich dir genau sagen, es war der 23. Februar 1945. Wir haben oben am Berg gestanden und in den Himmel gestarrt. Blutrot ist er gewesen, ein solches Rot habe ich seitdem nicht mehr gesehen. ›Höllenfeuer‹, hat Johannes geflüstert, ›dort ist die Hölle. Und meine Anna ... Was mache ich nur, Gretl, meine Anna ist vielleicht mittendrin.‹ Wir haben dagestanden und in den Himmel geschaut und uns so hilflos gefühlt.«
    Sie hat Anna erzählt, dass am späten Nachmittag dieses Tages plötzlich

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