Beerensommer
feucht und kalt. Keiner hat sich hinuntergetraut, denn es wimmelte von Ratten und Mäusen. Der alte Mühlbeck hatte dort sein gestohlenes Viehzeug versteckt, ganz oben an der Decke hatte er es aufbewahrt, an Haken, damit das Ungeziefer nicht rankonnte. Merkwürdigerweise sind die Polizei und der Feldjäger nie auf den Keller gekommen, das wussten wir und deshalb dachten wir, dass der Johannes da sicher sei. Schließlich haben meine Mutter und die Frau Weckerlin auch noch zu weinen angefangen. Immer bleicher ist er geworden, der Johannes, über all dem Geschrei, der arme Junge. Und dann hat der Friedrich nach Ruhe gebrüllt, uns beide von Johannes weggezerrt und alle haben sich um den Tisch herumgesetzt und heißen Tee getrunken, den die Frau Weckerlin gemacht hat.«
Gretl ist einen Augenblick still und lächelt in sich hinein. »Der Friedrich konnte das. Irgendwie hatte er damals schon Macht über Menschen. Er wirkte immer so sicher, so bestimmt.«
Nachdenklich schaut Gretl auf ihre Hände, die in ihrem Schoß liegen. Sie scheint sich ganz in den Erinnerungen zu verlieren und Anna fürchtet schon, dass sie den Faden nicht mehr findet, aber dann fängt sie unvermittelt wieder an.
»Ich bin bei Friedrich sitzen geblieben, aber die Emma ist nach einer Weile wieder hinüber zu Johannes geklettert, so war das immer, als wir kleine Mädchen waren. Die Emma war zwei Jahre älter als ich und ging zu der Zeit schon in die Schule, aber wir hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Sie hatte einen gewaltigen Dickkopf, nur vor ihrem Bruder hatte sie Respekt. Aber der Johannes war von Anfang an ihr ganz besonderer Liebling. Und mein Abgott war eben der Friedrich, so kamen wir uns nicht ins Gehege. Später kam dann der Ludwig Mühlbeck, der auch seinen Bescheid erhalten hatte. Er war schon sturzbetrunken und hatte eine Flasche Schnaps dabei. Im Unterschied zu seinem Vater war er aber friedlich, wenn er einen Rausch hatte, richtig komisch konnte er da sein. Und weil er auch in den Krieg musste, sind wir zusammengerückt und haben ihn bei uns sitzen lassen und später kamen auch die anderen Mühlbecks herüber und so hockten wir dann alle in der Küche, obwohl wir uns sonst von den Mühlbecks fern hielten, Guste ausgenommen. Sie rochen so streng wie sonst auch, aber das war in diesem Moment egal. Wenn es nämlich darauf ankam, hielten die Stadtmühlenleute fest zusammen. Irgendwie erinnere ich mich daran, dass es sogar noch ganz lustig wurde an diesem Abend. Die Frauen wollten keinen Schnaps, aber der alte Mühlbeck hatte ein Krüglein Most aufgetrieben. Den machte die Mutter heiß und gab etwas Rübenzucker dazu zur Feier des Tages, und auch wir Kinder bekamen etwas davon. Ganz leicht wurde einem da und auch warm und wir saßen und erzählten und fingen sogar an zu singen. So etwas gab es auch in der Stadtmühle; kurze Momente mit Wärme und Zufriedenheit, ein winzig kleines Fitzelchen Glück, das man dankbar ergriff. Wir wussten diese Momente zu schätzen.«
»Und dann?« Anna drängt. Sie hat noch nicht weitergelesen und will unbedingt wissen, ob Johannes in den Krieg wirklich musste.
»Vier Wochen später ist Johannes dann in die Kreisstadt gefahren, zur Musterung. Die Ahne hat sogar noch etwas vom Notgroschen herausgerückt, den sie für ihre Beerdigung angespart hatte, damit er sich Unterwäsche kaufen konnte. Aber es gab nichts Gescheites, bloß grobes, graues, kratziges Zeug und er hat sich ganz unwohl darin gefühlt, das habe ich gemerkt. Die Emma und ich haben uns die Nasen am Fenster platt gedrückt und ihm nachgesehen, bis er hinter der Kirche verschwunden war. Gebetet haben wir, den ganzen Morgen, den ganzen Tag, dass der Johannes nicht genommen wird. Emma hat sich an diesem Morgen geweigert, in die Schule zu gehen, und Frau Weckerlin hat ihr nachgegeben, wie immer; und der Friedrich, der es sicher nicht erlaubt hätte, der hatte keinen Kopf dafür. Er hat sich extra freigenommen und den Johannes zum Bahnhof begleitet! Der Ludwig ist auch mitgegangen, eine schlimme Fahne hat er gehabt, das weiß ich sogar noch, und irgendwie hat er an diesem Morgen ganz klein ausgesehen, richtig geschrumpft schien er zu sein, der Riesenkerl. Ihm war nicht wohl in seiner Haut, trotz seines großen Mauls. Irgendwann kam der Friedrich dann vom Bahnhof zurück und hat immer gesagt, dass sie den Johannes bestimmt nicht nehmen, so schmächtig, wie er ist. Daran haben wir uns geklammert. Am Abend kehrte er dann endlich zurück. Den Anblick
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