Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition)
Hoffnung ausgedrückt, dass Beethoven bei Haydn den neuen, hauptsächlich von Mozart in Wien entwickelten Stil erlernen könne. Vielleicht hat er auch heimlich gewünscht, sein junger Protegé werde die Lücke füllen, die durch Mozarts Tod entstanden war, und zu einem Idol der neuen Musikkultur werden. Auf keinen Fall aber hatte er die Absicht, hier eine Art makromusikhistorische Aussage zu machen – dafür fehlte es ihm wohl ohnehin an Urteilsfähigkeit. Und wer Haydn zum Wasserträger Mozarts reduziert, unterschätzt sowohl seinen Beitrag zum Wiener klassischen Stil als auch die Rolle, die er in Beethovens Entwicklung gespielt hat.[ 78 ]
Zusammen mit einem Reisegefährten, mit dem er sich die Fahrt- und Übernachtungskosten teilte, verließ Beethoven Bonn am frühen Morgen des 2. November 1792, im Gepäck nur wenige persönliche Habseligkeiten, darunter aber all seine Noten, Notizen und Skizzen. Er dürfte der Fahrt nicht nur mit Freude, sondern auch mit Besorgnis entgegengesehen haben, denn er reiste nicht gern und war später ein Meister darin, Ausreden für das Vermeiden einer Reise zu finden, auch wenn er dadurch wichtige Gelegenheiten verpasste. Das musikalische Abenteuer lag ihm eindeutig mehr.
Am ersten Tag ging die Reise durch das Aufmarschgebiet der Koalition; die sonderbare Route lässt auf einen turbulenten Verlauf der Fahrt schließen. Zeitweise musste sich der Kutscher sogar den Weg durch marschierende Truppen bahnen. Um keine weiteren Risiken einzugehen, fuhr die Gesellschaft gleich bis Frankfurt weiter, wo sie am nächsten Morgen um sieben Uhr eintraf.[ 79 ] Diese Entscheidung kann man im Nachhinein als gute Eingebung bezeichnen, denn schon einen Tag später drangen französische Truppen so weit vor, dass Beethoven zur Umkehr gezwungen gewesen wäre. In diesem Fall wäre die Musikgeschichte anders verlaufen, es sei denn, seine Pläne hätten sich etwas später doch noch verwirklichen lassen.
Vom 3. November an folgte man dann der üblichen Wien-Route über Nürnberg, Regensburg, Passau und Linz; das letzte Stück wurde mit einer öffentlichen Kutsche zurückgelegt. Beethoven erreichte die österreichische Hauptstadt am 10. November 1792, einem grauen Herbsttag. Er konnte nicht ahnen, dass Wien seine zweite Heimatstadt werden würde, der Schauplatz seines Aufstiegs, und auch nicht, dass er seine Geburtsstadt nie wiedersehen sollte.
ZWEITER TEIL
Zeit der Gärung
(1792 – 1802)
7
Das «centre of excellence» des Franz Joseph Lobkowitz
Am 19. Januar 1797 wurde Franz Joseph Maximilian von Lobkowitz offiziell volljährig. Von diesem Tag an war der fünfundzwanzigjährige böhmische Fürst allein verantwortlich für eines der größten Familienbesitztümer jener Zeit: ein paar hunderttausend Hektar Land, drei eindrucksvolle Stadtpaläste in Wien, darunter das zentral gelegene Palais Althan, drei riesige Schlösser in der Umgebung von Prag und ein ungeheures Barvermögen. Dank der tödlichen Kombination von Misswirtschaft, geldverschlingendem Lebensstil und einer Dosis Pech schaffte es der junge Lobkowitz, dieses Erbe innerhalb von nur anderthalb Jahrzehnten vollständig durchzubringen. Als er 1814 unter Kuratel gestellt wurde, war das Huhn, das goldene Eier legte, fast schon geschlachtet.
Lobkowitz hatte von seinem Vater nicht nur den gewaltigen Besitz geerbt, sondern auch die Neigung zur Extravaganz und den Ehrgeiz, sich in der Welt der Wissenschaft, Kunst und Musik zu profilieren. Vater Lobkowitz hatte es zum Mitglied der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften gebracht und war ein großer Bewunderer – und großzügiger Sponsor – von Christoph Willibald Gluck, einem der bedeutendsten Komponisten der damaligen Zeit. Um seinen wissenschaftlich-künstlerischen Hobbys frönen zu können, reiste er ständig durch Europa. Lobkowitz junior litt unter der chronischen Vernachlässigung durch seinen Vater, dem er übrigens im Alter von sieben Jahren zum ersten Mal begegnete. Die Verletzung muss so tief gewesen sein, dass sie erst nach dem frühen Tod des Vaters allmählich heilen konnte. Zu den seelischen Wunden kamen körperliche Leiden. In jungen Jahren erlitt Lobkowitz bei einem unglücklichen Sturz einen komplizierten Hüftbruch; er wurde so schlecht behandelt, dass der Fürst für den Rest seines Lebens behindert war. Dass er sich nur mit zwei Krücken fortbewegen konnte, hinderte ihn allerdings nicht daran, in mehreren Bühnenrollen zu glänzen. Später kompensierte er den
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