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Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition)

Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition)

Titel: Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Caeyers
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vergewissern, ob sein Konzept stimmte, und gegebenenfalls Verbesserungen vorzunehmen. Auch anderen Komponisten bot Lobkowitz die Gelegenheit zu Probeaufführungen, außerdem nutzten einige Kammermusikensembles wie etwa das Schuppanzigh-Quartett gern die Lobkowitz’schen Räume. Der deutsche Komponist und Musikschriftsteller Johann Friedrich Reichardt berichtete, dass man bei Lobkowitz zu jeder Zeit unter den besten Bedingungen proben konnte, dass dafür sogar mehrere Salons und Säle zur Verfügung standen, weshalb häufig einige Proben gleichzeitig stattfanden. Er nannte das Palais Lobkowitz «die wahre Residenz und Akademie der Musik».[ 98 ]
    Tatsächlich hatte Lobkowitz diesen Stadtpalast zu einer Einrichtung gemacht, die man als «musikalisches Forschungszentrum» bezeichnen könnte, einen Ort für Studium und Experiment. In der dazugehörigen Bibliothek gab es die neuesten Musikalien und Bücher; an zahlreiche junge Talente vergab Lobkowitz Stipendien, damit sie bei einem seiner Elitemusiker Unterricht nehmen konnten. In diesem «centre of excellence» wehte also wirklich ein frischer Wind. War in der Vergangenheit die Entwicklung der Musik hauptsächlich von der spontanen Interaktion zwischen dem Komponisten und seinem Publikum bestimmt, so wurde bei Lobkowitz zum ersten Mal ganz bewusst qualitativen und inhaltlichen Kriterien Vorrang eingeräumt, unabhängig von den Wünschen und Erwartungen des Publikums. Am Vorabend des neuen Jahrhunderts schuf Lobkowitz für die Musik einen institutionellen Rahmen, in dem die Komposition keinem anderen Zweck mehr untergeordnet war.
    Leider lagen bei Lobkowitz Fantasie und Fantasterei nah beieinander. Obwohl sich schon sehr früh abzeichnete, dass sein Lebensstil sogar für seine beachtlichen Möglichkeiten zu aufwändig war und er Schulden machen musste, um die Kosten für den umfangreichen Personalbestand – bis zu zweihundert Menschen – weiterhin aufbringen zu können, wollte er sein musikalisches Territorium noch erweitern. Es fing relativ harmlos an: Er finanzierte Akademien, also Konzerte, deren Erlös bestimmten Musikern zufiel, und unterstützte als katholischer Adliger die sinfonische Kirchenmusik in der Michaeler- und Augustinerkirche. Als Freiherr Peter von Braun 1806 als Intendant der Wiener Hoftheater zurücktrat, fühlte sich Lobkowitz dazu berufen, die Oper zu retten. Zunächst wurde er dabei noch von einigen anderen Adligen wie Schwarzenberg, Pálffy, Zichy und Esterházy unterstützt, doch ab 1811 musste er für alles allein aufkommen. Die Beträge, die aus seinen Kassen in dieses Danaiden-Fass flössen, sind schwindelerregend – irgendwann zahlte er sogar die Gehälter für das gesamte Opernpersonal, einschließlich der Ruheständler. Der katastrophale Niedergang der Wirtschaft, der Staatsbankrott und die desolate Entwicklung auf dem Geldmarkt als Folge des sogenannten Finanzpatents – einer drastischen Abwertung – taten ein Übriges, und so geriet Lobkowitz 1811 an den Rand des ökonomischen Abgrunds. Ob es Stolz war, naiver Optimismus oder völliger Realitätsverlust, was ihn dann die Flucht nach vorn antreten ließ, wissen wir nicht, jedenfalls veranstaltete er noch im gleichen Jahr in Raudnitz ein dreiwöchiges Hochzeitsfest für seine älteste Tochter. Auch dabei kannte er keine Grenzen; die Liste der kulturellen Veranstaltungen, unter anderem Opernaufführungen und Konzerte mit den besten und teuersten Solisten jener Jahre, ist beeindruckend. Wie viel dieser Irrsinn gekostet hat, lässt sich kaum schätzen – die Rechnungen sind aus nachvollziehbaren Gründen vernichtet worden –, nachweisbar ist aber, dass insgesamt fast zwanzigtausend festliche Mahlzeiten serviert wurden, und das lässt das Schlimmste befürchten. Außerdem verteilte Lobkowitz, teils aus echter Nächstenliebe, teils aus Scham, Tausende von Geschenken an die Bevölkerung seiner böhmischen Besitztümer.
    Die meisten Anwesenden müssen gewusst haben, dass Lobkowitz’ Schiff schon zu sinken begann. Schließlich hatte er bei vielen seiner Gäste gigantische Schulden, und sein Personal war seit Monaten nicht mehr bezahlt worden. Aber das Orchester spielte weiter auf dieser Titanic des 19. Jahrhunderts. Nicht nur das: Die Musiker baten Lobkowitz sogar noch um einen Ausgleich für ihren durch die Krise verursachten Einkommensverlust. Vor allem für die Besten von ihnen wurden Lösungen in Form von Zusatzvergütungen gefunden. Jeder nur denkbare Anlass für eine kleine

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