Beethoven: Der einsame Revolutionär. (German Edition)
Aufführungen stattgefunden, unter anderem bei Lichnowsky, und Beethoven bestand darauf, noch viele kleine Verbesserungen vorzunehmen. Vor allem die Komposition von Streichquartetten war für ihn immer eine Art «work in progress».
In einem Brief vom 1. Juli 1801 bat Beethoven seinen Freund Amenda, die Noten des F-Dur-Quartetts niemandem mehr zu zeigen: «dein Quartett gieb ja nicht weiter, weil ich es sehr umgeändert habe, indem ich erst jezt recht quartetten zu schreiben weiß, was du schon sehen wirst, wenn du sie erhalten wirst.»[ 100 ] Mit anderen Worten, er erklärte seine erste Version für ungültig.
Anders als Lobkowitz, der die ursprünglichen Quartette wegwarf, hat Amenda ehrfurchtsvoll beide Fassungen des F-Dur-Quartetts aufbewahrt, und dieser glückliche Zufall ermöglicht uns einen gründlichen Vergleich. Er hilft uns zu verstehen, worauf es Beethoven bei der Komposition von Streichquartetten ankam.
Die vorgenommenen Änderungen haben interessanterweise kaum Auswirkungen auf die Gesamtstruktur des Quartetts: Aufbau und Charakter der Themen, Harmonik, tonaler Verlauf und Modulationen sind fast unverändert geblieben. Nur sehr selten wurden ein paar Takte hinzugefügt oder weggelassen, weshalb zunächst der Eindruck entsteht, die neue Fassung sei deckungsgleich mit der ersten. Doch so, wie ein ganz neues Bild entstehen kann, wenn man eine Zeichnung anders koloriert, so ist hier durch zahlreiche scheinbar kleine Korrekturen ein anderer, kohärenterer und überzeugenderer musikalischer Text entstanden. Allein im ersten Satz hat Beethoven etwa hundert Änderungen vorgenommen, die alle dazu beitrugen, seine künstlerischen Intentionen präziser zu realisieren: Lange Noten wurden durch wiederholte kurze ersetzt, um für rhythmische Kontinuität zu sorgen (auch das Umgekehrte kam vor), Pausen wurden weggelassen, um eine engere Verbindung zum Folgenden herzustellen (oder es geschah das Gegenteil), dissonante Vorschläge wurden eingebaut, um den Schwerpunkt eines Motivs zu betonen, Verzierungen und melodische Umspielungen hinzugefügt oder weggelassen, um das Tempo zu steigern oder zu verringern, Begleitungen oder Gegenstimmen um der Transparenz des Satzes willen vereinfacht oder entfernt.
Auch in die Struktur des Stimmgewebes hat Beethoven eingegriffen. Mehrmals wurde die Reihenfolge der Stimmeinsätze geändert, um dadurch die räumliche Verteilung zu verbessern. Denn die Bedeutung eines Themas im musikalischen Kontext hängt auch von seiner Lage ab (hoch, in der Mitte oder tief); die Wirkung einer langen Pause oder einer abrupten Veränderung zum Beispiel kann nämlich unter Umständen durch eine ungünstige Reihung der Stimmeinsätze zunichte gemacht werden. Außerdem hat Beethoven mehrfach die Dichte des musikalischen Satzes der Dramatik des Augenblicks angepasst. An vielen Stellen ist die zweite Fassung überzeugender, entweder weil sie dort schlanker instrumentiert ist oder weil sie im Gegenteil an Klangfülle gewonnen hat.
Die subtilsten und zugleich wirksamsten Eingriffe sind dynamischer Art. Die Fortes und Fortissimos sind wesentlich besser dosiert, Crescendi setzen an anderer Stelle oder verzögert ein, Akzente – Sforzati und Fortepianos – stehen mehr als zuvor im Dienst der musikalischen «Erzählung». Die Folge ist, dass man als Hörer viel deutlicher spürt, in welche Richtung sich die Musik entwickelt, weil man die Höhepunkte, Ruhepunkte und kritischen Momente besser erkennt. Das dramatische Spiel von Spannungserzeugung und Entspannung oder von Ver- und Entschleierung erzielt dadurch eine viel größere Wirkung; das Timing hat sich verbessert, und mehr als die erste Version zwingt einen die Endfassung, das Stück so zu hören, wie Beethoven es wollte.[ 101 ]
Die Unterschiede zur ursprünglichen Fassung sind also zugleich gering und bedeutend, sie offenbaren Beethovens außergewöhnliche Sensibilität für winzige Nuancen und zeigen, wie genau er jedes noch so kleine Detail geprüft hat. Dieses hohe Niveau der «Feinabstimmung» zeugt von einem neuen künstlerischen Arbeitsethos, genährt durch den besonderen Geist der musikalischen Institution des Auftraggebers Lobkowitz. Beethoven hatte das Glück, seine Änderungen bei Probeaufführungen mit professionellen Quartettspielern bewerten zu können; er lernte aus seinen Fehlern und verbesserte Schritt für Schritt seine Quartett-«Sprache». So beschleunigten er und indirekt auch Lobkowitz die Lösung des Streichquartetts vom
Weitere Kostenlose Bücher