Begegnung im Schatten
zu tragen hatte.
Tags darauf fuhr also Josef Hofbauer mit seinem Moped den verhältnismäßig steilen Weg zur Almhütte des Apothekers Gneisel aus Fraunheim hinauf. Sie lag malerisch nur wenige 100 Meter unterhalb des Elfhunderters Reineck, und man hatte von dort einen herrlichen Blick über das Tal bis zur Benediktenwand. Das Bauwerk ,Hütte’ zu nennen, glich einem Sakrileg. Sie bildete nachgerade das Musterbeispiel für den Wohlstand deutscher Apotheker.
Am Tor des niedrigen Zaunes stellte Josef Hofbauer sein Fahrzeug ab. Als er eintreten wollte, gewahrte er, dass ihm ein Mann raschen Schritts entgegeneilte, der, noch Dutzend Meter entfernt, rief: „Ja, hallo, Sie wünschen?“
Josef fühlte sich überrumpelt. „Ja, antwortete er, Grüß Gott! Hofbauer ist mei Name. Von der Gemeinde komm ich halt, fron, wie’s geht.“
Der Fremde hatte das Tor erreicht. „Guten Tag“, grüßte er. „Das ist nett. Aber Sie haben sich umsonst bemüht. Ich komme zurecht.“
„Jo, brauchen Sie net wos? Dös Eikafen bei uns is net so wie in derer Stadt. Sowieso mach ich amol am Tag a Runde bei ollen Gästen, die wo was wolln. Zum Beispiel frische Semmeln in der Früh und a Milich. In der Kurtax is dös Liefern dabei.“
Der Mann überlegte. „Also gut. Drei Semmeln und einen Liter Milch. Stellen Sie’s hier ans Tor hinterm Zaun. Wenn ich noch etwas brauche, hefte ich einen Zettel an den Pfosten. Gut so?“
„Jo scho. Wie long wollns dobleim?“
Der Gefragte runzelte die Stirn.
„Wegen der Kurtax“, erläuterte Josef Hofbauer.
„Oh, das weiß ich noch nicht. Je nachdem, wie’s Wetter ist und mir’s gefällt.“
„Jo, do kommens holt am Freitag immer am Amt vorbei, umma zehne, und zahlns, zwa Euro per Tag. Ober ihren Namen müssens mir scho son.“ Er zog einen abgegriffenen Block und einen Kugelschreiber aus der Tasche, bereit, zu notieren. „A Ordnung muss scho sei! Am Freitag mach mer die onnern Formalitäten.“
„Ich heiße Ramlundt, Stephan Ramlundt. War’s das?“
„R-a-m-l-u-n-… mit an weichen oder harten de?“
„Mit einem weichen und einem harten. Und Stephan mit pe ha. Haben Sie’s?“
„A jo… mit pe ha…“
„Also, auf Wiedersehn, Herr, Herr…“
„Hofbauer.“
„Herr Hofbauer, Wiedersehn!“
„Songs, wos homs denn do für a Fass afn Hänger?“ Er zeigte zum Haus, vor dem der Geländewagen stand, der Hänger, noch angekuppelt, mit dem Plastebehälter auf der Ladefläche.
Der Mann zog eine Grimasse. „Daas“, sagte er gedehnt, nach einer Antwort suchend, „für’s Regenwasser. Herr Gneisel hat mich gebeten, es mitzunehmen und aufzustellen. Er kommt dieses Jahr nicht dazu.“
„Ach kommt er net, der Herr Aptheker?“
„Nein.“
„A feiner Mensch, der Herr Aptheker. Oalso, pfüt Sie Gott, Herr Ramlundt. Drei Semmeln und a Milich.“
Stephan Ramlundt schritt mit gemischten Gefühlen zurück zum Haus. Im Klaren war er sich schon, dass das Auftauchen dieses Gemeindedieners ursächlich mit den jüngsten Ereignissen am Waldhaus nicht das Geringste zu tun hatte. Trotzdem beunruhigte ihn dessen Besuch. ,Den zweiten Tag bin ich hier und muss meine Identität preisgeben. Wenn ein blöder Zufall…!’
„Mach’ dich nicht verrückt, Stephan!“, sagte er laut, und er öffnete den Schlauch, den er, als er des Mopedfahrers ansichtig wurde, abgedreht hatte. Das Wasser sprudelte weiter in den kleinen Pool. – Lissi hatte die Fahrt gut überstanden. Voller Interesse genoss sie die wechselnden An- und Aussichten.
Ramlundt hatte ihr bei der ersten Gelegenheit einen breitkrempigen Hut und eine riesige Sonnenbrille erstanden, so dass ihr schwarzes Gesicht gegen Blicke von draußen weitgehend verborgen blieb, während des Tankens oder anderer Halts.
Immer wieder staunte Stephan über das ungeheure Wissen, das sich die Außerirdische im Wesentlichen aus Büchern angeeignet hatte. Außerordentlich vieles, was ihr auf der Fahrt begegnete, konnte sie ohne weiteres ein- und einem größeren Rahmen zuordnen. Manchmal wurde es Ramlundt regelrecht peinlich, wenn sie ihn versehentlich auf Zusammenhänge aufmerksam machte, die sich ihm bis dato verschlossen hatten.
So verlief die Reise für beide kurzweilig. Drei Mal hielten sie abseits von der Straße, und Lissi pantschte ausgiebig mit dem Wasser, das ihr Stephan mittels einer Handpumpe zuspritzte. Ihr depressives Verhalten der letzten Tage seit Grits Tod war wie weggeblasen, und Stephan hütete sich, die Sprache auf den Trauerfall zu
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