Begegnung im Schatten
postierte sich hinter einem solchen. Von hier aus hatte er einen besseren Einblick in den langen Hang zum Tal hinunter.
Noch weit unten stiegen zwei Menschen herauf, zu weit entfernt noch, um Details ausmachen zu können.
,Zwei verfrühte Wochenendwanderer’, schätzte er ein.
Der Weg führte 50 Meter an der Hütte vorbei, weiter zur Zachenwand. Schon öfter hatten ihn Leute passiert, die von der Behausung und ihrem Bewohner keine Notiz nahmen.
Einmal, als Stephan von der Terrasse aus grüßend den Arm hob, hatte einer aus einer kleinen Gruppe ebenso und zusätzlich mit einem kräftigen „Hallo“ geantwortet.
Stephan beobachtete weiter.
Drei Biker strampelten bergauf. „Tolles Begängnis heute“, murmelte er. Von den zwei Wanderern war nichts mehr zu sehen. Er wusste, dass es mehrere Abzweigungen gab, auf denen man andere Ziele erreichen konnte auf Wegen, die nicht an der Hütte vorbeiführten.
Sandra Georgius und Constanze van Haarden hatten sich vom Gastwirt den Weg zur Hütte des Apothekers Gneisel beschreiben lassen und sich, auch des Erholungseffektes und des guten Wetters wegen, zu Fuß auf den Weg gemacht.
Constanze van Haarden hatte sich entschlossen, nur zu observieren, sich vom vermeintlichen Autodieb ein Bild zu machen. Sie traute der Anzeige Hausers nicht im Geringsten, dass es sich lediglich um einen herkömmlichen Diebstahl handele. Hinter dem Verschwinden des Geländewagens steckte Anderes, Brisanteres. Für die Reise galt also, davon mehr in Erfahrung zu bringen, keinen weiteren Aufwand zu betreiben und das Wild nicht scheu zu machen.
Als sie also glaubten, vor der Kulisse des Gebirgsmassivs die Hütte zu erkennen, ließen sie äußerste Vorsicht walten. Sie mieden den Hauptweg, nahmen huckliges Gelände, Steine und Gestrüpp in Kauf und kämpften sich abseits vom Weg, aber parallel zu ihm nach oben. Die Hütte bekamen sie kaum mehr zu Gesicht, und das gab Sicherheit, auch von dort aus nicht gesehen zu werden.
Knapp 50 Meter vor dem kleinen Zaun des Anwesens ragte ein Fels aus dem Boden. Das letzte deckende Hindernis. Von dort aus führte ein ziemlich glatter Wiesenhang zur Hütte, zu deren dem Weg abgewandten Seite.
Sie erreichten den Fels erschöpft und schwitzend, aber guter Dinge, und sie lagerten dahinter, zunächst rastend, dann beobachtend.
Im Anwesen tat sich nichts, wenn man davon absah, dass ab und an von der Terrasse auf der anderen Seite das Hauses, von der nur eine kleine Ecke einzusehen war, ein Geräusch wie von klatschendem Wasser herüber scholl.
Am Zaun entlang wucherte niedriges Gebüsch und allerlei Kraut.
„In dessen Schutz könnten wir die Hütte umrunden“, raunte Constanze der Gefährtin zu, nachdem sie lange Zeit ausgeharrt und nichts weiter zu sehen bekommen hatten.
Sandra nickte. In gebückter Haltung rannten sie über die frei Fläche, warfen sich hinter den Bewuchs und verschnauften.
Stephan Ramlundt kauerte hinter dem Fels und suchte immer wieder das Gelände ab, in der Hoffnung, die beiden Wanderer erneut zu entdecken und sich von ihrer Harmlosigkeit zu überzeugen. Ihn suchte wieder das ungute Gefühl heim, es sei Gefahr in Verzug, und er schalt sich erneut einen Hasenfuß. Er setzte abermals zu einer Blickrunde an, und schwor sich, es sei die letzte. Schließlich würde Lissi bald aus dem Bad steigen, und da wollte er zugegen sein, sie vor Blicken zu schützen, falls doch ein Wanderer oder gar ein schneller Biker vorbeikam.
Er schwenkte das Fernglas über den Wiesenhang und dessen Hintergrund am Fuße des Hügels und – erstarrte förmlich: Zwei Frauen rannten in gebückter Haltung auf die Hütte zu und, es bestand nicht der geringste Zweifel, die eine von ihnen war Dr. Sandra Georgius.
Stephan Ramlundts Herz schlug bis zum Hals. Kalter Schweiß brach aus; er ließ das Glas sinken und hockte sich wie betäubt hinter den Stein. Eine Weile blieb er in dieser Haltung, unfähig, einen Gedanken, einen Entschluss zu fassen.
Nach langen Minuten fasste er sich ein Herz und nahm wieder das Fernglas an die Augen. Von den beiden Frauen unten konnte er nichts sehen, aber an der Bewegung der hohen Gräser und Kräuter erkennen, dass sie sich langsam entlang des Zaunes bewegten und alsbald Sicht auf die Terrasse, auf Lissi!, haben werden.
Langsam begann Stephan Ramlundts Denkapparat zu arbeiten. Eine blitzartige Erkenntnis kam ihm: Wenn Sandra wüsste, dass ich, Stephan Ramlundt, mich hier aufhalte, sie würde anders vorgehen. Sie wäre vorgefahren,
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