Begegnungen (Das Kleeblatt)
dachte Ossi, er hätte weder Liebe noch Achtung verdient. Nicht einmal einen Freund, der, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, hinter ihm steht und jederzeit für ihn da ist, konnte er anfangs akzeptieren. Ich glaube, selbst heute zweifelt er mitunter an mir und meinen lauteren Absichten.“
„ Das habe ich ebenfalls getan. Verzeih mir, Matt’n“, bat sie aufrichtig. „Aber wie kann ein Kind auf eine derart abwegige Idee kommen?“
„D as ist ihm ebenfalls eingeprügelt worden.“
Das Messer fiel klirrend auf das feine Porzellan, als Suse vor Entrüstung von ihrem Stuhl in die Höhe schoss. „Du? Hast du …“
„He!“ Matthias ergriff ihr Handgelenk und zog sie sanft auf ihren Platz zurück. „ Nicht, Suse. Traust du mir das wirklich zu? Ich kann dir versichern, das war nicht ich, obwohl ich ihn am liebsten dafür erwürgt hätte, weil er sich einen solchen Schwachsinn einreden ließ und schließlich sogar von seiner Minderwertigkeit überzeugt war. Ossi hat seit frühester Kindheit zu viele Niederlagen einstecken müssen, als dass sie spurlos an ihm vorübergegangen wären. Er jedoch wollte kein Mitleid. Will es bis heute nicht. Von niemandem. Er war lange Zeit nicht einmal bereit, Vertrauen und Verständnis von seinem Freund anzunehmen. Und um das zu erreichen, verbot er sich, jeglichen Schmerz zu zeigen. Er schottete sein Herz ab und wurde hart gegen sich selbst. Bis er eines Tages verlernt hatte, sein Herz zu benutzen und nun anderen herzlos erscheint.“
Mit einem dankbaren Lächeln nahm er das Käsebrötchen entgegen, das Suse ihm reichte. Sie dachte an die unterschwellige Traurigkeit, die sie bei Adrian so oft beobachtet hatte. Es wunderte sie nicht länger, dass er nie über sich und seine Vergangenheit hatte sprechen wollen. Er hatte einfach Angst, den Schutzwall um sein Herz selbst einzureißen und sich dadurch verwundbar zu machen.
„ Ich begreife es trotzdem nicht. Er muss doch sehen, dass er damit sich und seinen Freunden schadet. Warum tut er uns weh? Warum stößt er uns von sich, wenn er weiß, wie es ist, verletzt zu werden?“
„Ich weiß es nicht, werde es wohl nie wissen oder gar verstehen.“
„ Erzähl mir, wie ihr euch kennengelernt habt.“
Stöhnend verdrehte er die Augen, bis ihm beinahe schwindlig wurde.
„Oh bitte, Matt’n.“
„Eines schönen Tages kam der alte Herr und zitierte mich in sein Arbeitszimmer. Das war etwas ganz Außergewöhnliches, denn ich kann mich an drei, höchstens vier Male erinnern, dass dies geschah, und nie hatte es etwas Gutes zu bedeuten. Da stand ich Ossi also gegenüber, einem kleinen, schwächlichen Wicht, der sich halb zu Tode ängstigte und nicht einmal wagte aufzublicken, als ich die Bibliothek betrat. Mein Vater, musst du wissen, war von ähnlicher Statur wie ich heute.“ Er lachte bitter bei der Erinnerung an den Furcht einflößenden Mann.
„Verdammt noch mal, wa rum erzähle ich das überhaupt?“ Seine Faust krachte unvermittelt auf die Tischplatte und ließ Suse vor Schreck zusammenfahren. „Ich hatte nicht die Absicht, uns das Frühstück mit solch tristen Geschichten zu verderben“, erklang seine scharfe Stimme, in der eine Warnung für Suse vor weiteren Fragen an ihn mitschwang.
„Matt ’n, bitte.“ Über den Tisch ergriff sie die zur Faust geballte Hand des Mannes und streichelte sie so lange, bis er sie endlich öffnete und auf ihre Hand legte. „Matt’n, wenn du mir diese Dinge erzählst, habe ich das Gefühl, als würde sich mir endlich die Chance bieten zu verstehen, warum Adrian so ist, wie er heute ist, und was ihm deine Freundschaft bedeutet. Diese Gelegenheit bekomme ich vielleicht nie wieder im Leben. Glaubst du echt, ich wäre so blöd, mir die entgehen zu lassen?“
Sie schenkte ihm ein freches Lächeln. „Soll ich dir was verraten? Ich war sogar … es ist lachhaft, mittlerweile weiß ich das selber, aber eine Zeit lang war ich tatsächlich eifersüchtig auf dich. Mit dir kann Adrian offenbar besser reden als mit mir. Dir vertraut er und ihr teilt euch eine gemeinsame Vergangenheit, von der ich nicht die geringste Ahnung habe. Wie sehr habe ich dich darum beneidet. Er hängt sehr an dir.“
„Ja.“
„Du wirst mir den Rest auch noch erzählen, nicht wahr?“
„Lass uns zu Ende frühstücken.“
Lustlos kaute sie auf ihrem Marmeladenbrötchen herum, gerade so als hätte sie eine Schuhsohle mit Butter und Erdbeerkonfitüre bestrichen.
„Es scheint ein schöner Tag zu werden .“ Ihre Worte
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