Begegnungen (Das Kleeblatt)
und kniete sich auf den Boden. Langsam hob er seine Hand, unsicher, ob er sie berühren durfte. Schließlich strich er über ihre Haare, ganz leicht bloß, als befürchtete er, sie könnte davon erwachen.
Allmählich beruhigte sich ihre Atmung. Auch Alain stieß erleichtert die angehaltene Luft aus. Dann zerriss erneut ihr heiserer Schrei die Stille. Der Mann zuckte heftig zusammen und streifte dabei unbeabsichtigt ihr Gesicht. Sie heulte auf wie ein geprügelter Hund und krümmte sich zitternd.
Grenzenloser Hass auf seine unsichtbaren Gegner stieg in ihm auf. Er ließ sich auf der Bettkante nieder und zog seine Frau an sich. Sie bebte am ganzen Körper. Überdeutlich konnte er das hektische Rasen ihres Herzens spüren. Schweiß bedeckte ihre kalte Haut. Wieder schlug sie blind mit Händen und Füßen um sich, trotzdem konnte sie sich nicht aus den Armen befreien, die sie fest gepackt hielten. Sie konnte seine Finger auf ihrem Körper spüren.
„Nein!“
„Bea, bleib ruhig. Schsch, ganz ruhig, meine Kleine.“ Alain zwang sich, mit fester Stimme zu sprechen, obwohl sein Herz wie ein Vorschlaghammer gegen seine Rippen donnerte. „Ich bin es, hörst du? Und du hast bloß geträumt. Es ist vorbei.“
Eine leise, melodische Stimme durchbrach die Hölle des Grauens und streichelte sie behutsam wach. Eine Stimme, sanft wie ein Kinderlied, das Erinnerungen an längst vergangene Zeiten heraufbeschwor. Glückliche Zeiten.
„Schsch , schon gut, Bea. Ich bin bei dir.“ Er wiegte sie in seinen Armen und bemerkte erschreckt, wie zerbrechlich sich ihr Körper anfühlte. „Es ist nichts passiert.“
Sie fuhr hoch und riss die Augen auf, schluchzend, tränenüberströmt. Sie konnte nicht sprechen, weil sie noch immer mühsam durch den Mund nach Luft rang.
„Alles wird gut, Kleines. Jetzt bin ich ja hier.“
Nur langsam wich das Erkennen in ihrem klarer werdenden Blick und machte Platz für Erstaunen, welches endlich in einem Gefühl großer Erleichterung mündete. Das war die Stimme ihres Mannes. Er hielt sie fest und so zärtlich in seinen Armen, dass zwischen ihnen kein Raum mehr für ihre Dämonen blieb. Seine märchenhaft blauen Augen tauchten in ihre. Sie blickte ihn unverwandt an, denn sie hatte Angst, er könnte verschwinden, wenn sie wegschaute.
„Alain.“
„Ich bin hier, mein Schatz.“
„Si e wollten … sie wollten mich …“ Sie atmete in einem zittrigen Schluchzer aus.
„Es wird dir nichts passieren. Es war ein Traum.“
„Ja. Diesmal.“
Er schloss die Augen, als könnte er damit verhindern, die Fassung zu verlieren.
„Du hast geträumt. Und nun solltest du noch ein wenig schlafen. Du brauchst Ruhe.“
„Nein. Alain, bleib hier, bitte. Ich kann nicht schlafen.“
„Gut. Ich bleibe bei dir sitzen und dann machst du die Augen zu und ruhst dich einen Moment aus.“
„Du hast mir gefehlt“, hauchte sie unvermitte lt.
Mit grenzenloser Verwunderung spürte er, wie sich die Frau in seinen Armen dichter an seine Brust kuschelte. Nein, er irrte sich nicht! Sie suchte seine Nähe!
„Oh Gott, du hast mir so sehr gefehlt, all die Jahre, an jedem einzelnen Tag“, murmelte sie noch einmal, als ihr die Augen schon wieder vor Erschöpfung zufielen. „Ich hatte furchtbare Angst ohne dich. Angst um dich … und um … Katrin. Um dich.“
„ Nun bin ich bei dir. Du musst dich vor nichts und niemandem mehr fürchten, Bea. Versuche, noch ein wenig zu schlafen.“
„Ich darf nicht … nicht einschlafen. Wenn ich schlafe …“ Ruckartig öffnete sie wieder die bleischweren Lider und atmete zitternd durch. Ihr war übel und sie fror erbärmlich. „Sie kommen nur, wenn ich schlafe.“
„Bea, du brauchst Ruhe und viel Schlaf. Du bist total am Ende. Ich werde dafür sorgen, dass dir niemand mehr wehtut, in Ordnung?“ Er drückte sie sanft auf das Kissen und strich ihr das feuchte Haar aus der Stirn.
„Wenn ich … wenn ich einschlafe … Du wirst gehen“, brummelte sie im Halbschlaf. „ Du bist mir böse, weil ich fortgegangen bin. Damals. Und dann … dann kommen sie“.
„Aber nein, vertrau mir. Ich bin auch morgen noch bei dir. Und wenn du willst, für immer. Ich bin dir schon lange nicht mehr böse, weil meine Liebe so viel stärker ist als sämtliche Wut oder Rachegefühle. Weil ich dich so sehr liebe. Soll ich dich festhalten?“
„Nein!“ Mit einem Schlag war sie wieder hellwach.
Er hätte sich am liebsten auf den Mond geschossen für diese Frage. Dann allerdings hörte er
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